Sie führten immer Befehle aus, aber jetzt befiehlt keiner mehr (Daily Dueck 190, April 2013)

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Sie führten immer Befehle aus, aber jetzt befiehlt keiner mehr (Daily Dueck 190, April 2013)

Das bekannte Peter-Prinzip besagt, dass alle tüchtigen Menschen immerfort befördert werden. Irgendwann sind sie so hoch befördert, dass sie für diese „Job-Höhe“ nicht mehr tüchtig genug sind – ja, und dann ist ihre Karriere zu Ende. Deshalb, so die satirische Peter-Schlussfolgerung, werden wir von Unfähigen beherrscht… Warum wird man irgendwann „unfähig“?

 

Ich erinnere mich dunkel an eine Formulierung über die Unfähigkeiten nach dem Tsunami-Reaktorunglück in Japan: „Sie sind es nur gewohnt, Befehle auszuführen, aber es befiehlt niemand mehr.“ Es war alles im Chaos versunken. In Sondersituationen gibt es keine Regeln und Zuständigkeiten, keine Strategien und keinen schnellen Rat. Jeder ist nun wie ein Segelschiffkapitän im Sturm. Plötzlich zählen Instinkt und Erfahrung, Fortune und Führungscharisma! Die so genannten „Veteranen“ sind hier den Neulingen hochüberlegen.

Deshalb scheitern neu gewählte Politiker so oft. Sie waren lange in der Opposition und konnten nach der Regel reflexhafter Gegenrede vorgehen: Sie machten jeden Tag schlecht, was die Regierung wollte. Plötzlich aber sind sie selbst im Amt, da heißt es: „Tu etwas!“ Ja, was?

Deshalb enden Traumkarrieren von Managern so abrupt. Als Gruppenleiter tun sie, was der Chef sagt. Sie werden Abteilungs-, Hauptabteilungs- und Bereichsleiter, sie tun, was der jeweilige Chef ihnen sagt. Dann – irgendwann – heißt es: „Nun tu etwas!“ Ja, was? Weiter oben bekommt man keine Befehle mehr, man muss (sich) selbst welche geben – ganz eigene, die sich eben nicht mehr aus Befehlen von weiter oben ergeben. Jetzt ist man „allein“, ich meine: alleinverantwortlich für sich und andere.

 

Na, werden Sie sagen, wer gelangt denn nach oben, wer kommt schon in diese Verlegenheit? Meine Antwort: Wahrscheinlich Sie! Mein Hauptargument: Die Führenden dieser Welt sind ganz davon abgekommen, Ihnen genau zu sagen, was Sie tun sollen. Sie befehlen immer weniger Handlungen oder Handgriffe. Sie regieren nicht mehr nach Anordnungen und Anweisungen. Nein, sie VERLANGEN einfach ein bestimmtes NIVEAU von Resultaten! Sie müssen (alles in Zahlen diktiert) so und so viel verkaufen, erforschen, vermitteln, einsparen, entlassen, einsammeln oder ernten. Wie Sie das machen? Darauf bekommen Sie die moderne Manager-Antwort: „It’s up to you.“ Oder: „Dein Problem.“

Unser Problem in dieser neuen Führungsauffassung ist es, selbst klarzukommen.

Die Lehrer verlangen, dass wir selbst gebildet werden wollen. Wir sind aber nur gewöhnt, das Abitur nach Befehl zu bestehen. Die Professoren erwarten, dass wir selbst Wissenschaftler oder Experten werden. Sie stellen genau wie die Lehrer die nötigen Mittel bereit, aber unsere Vollendung wird in unserer eigenen Verantwortung gesehen. Das geht in einer industrialisierten Bildungs- und Arbeitslandschaft kaum anders. Wer als Berater, Experte, Entwickler, Forscher, Manager oder gar Selbstständiger arbeitet, ist mehr und mehr sein eigener Boss.

 

Wo und wann aber lernen wir, unser eigener selbstverantwortlicher Boss zu sein? Die Lehrer wundern sich, dass wir uns nicht von selbst bilden wollen, die Professoren beklagen Mangel an brennendem Interesse, die Manager sind erschüttert von fehlender Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative.

 

Und ich selbst sehe ein bisschen ratlos und schwach verzweifelt:

 

  1. Nirgendwo lernt man, Boss zu sein, aber alle erwarten, dass wir es können.
  2. Alle merken, dass wir das Selbst-Boss-Sein noch nicht lernten, also erwarten sie es (zunehmend ärgerlich) stärker und stärker.

 

Sie erwarten nur die schieren Resultate. Wenn wir die nicht bringen, erwarten sie dasselbe lauter und härter. Da ducken wir uns und bestehen immerhin die Mittlere Reife, das Abitur, die Bachelorprüfung, den Masterabschluss, die Verteidigung der Dissertation und so weiter, wie es eben geht. Im Beruf bringen wir unsere Umsätze, unsere Kundenzahlen oder Beraterstunden. Wir orientieren uns an den harten Vorgaben und Erwartungen, ALS SEIEN ES KEINE VORGABEN, SONDERN BEFEHLE. Wir bestehen und liefern Zahlen, das war befohlen – so DENKEN wir. Im Grunde aber sollen wir kreative Unternehmer sein, Verantwortliche, Kapitäne unseres Lebens.

 

In einer Gesellschaft der reinen Zielvorgaben müssen wir selbst als Kapitän das Ziel ansteuern! Wir werden nicht mehr darauf gedrillt, Handgriff auf Handgriff exakt zu erledigen – das ist nur noch in den schlecht bezahlten Berufen in der Nähe des Prekären so. Für reines Abarbeiten wird gerade so viel bezahlt, dass ein Überleben möglich ist…

Aber bis zum letzten Bildungsabschluss durchlaufen wir ein verschultes System des Abarbeitens. Unsere Persönlichkeit als Lebenskapitän kommt nur am Rande vor. Da tun alle, was ihnen die Klausuren und Vorgaben zu befehlen scheinen. Sie tun, als würden sie gehorchen. Und irgendwann im Leben ist dann das Befehl-Heraushören und Abarbeiten vorbei, da fordert uns das Leben auf: „Nun tu was!“

 

Fragen Sie bloß nicht: „Ja, was?“ In diesem Augenblick müssen Ihre Augen hell aufleuchten, vor Vorfreude und einschießender Energie.

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4 Antworten

  1. Guten Tag Herr Dueck,

    diesem „Befehl-Gehorsam-Dilemma“ setzt man in der Bundeswehr die „Auftragstaktik“ entgegen. Die übergeordnete Führung gibt das Ziel vor, lässt aber weiten Spielraum in der Umsetzung. Meine praktische Erfahrung als Offizier: Es funktioniert ganz gut, ABER in komplexen Situationen (z.B. IT-Projekt Herkules), herrscht trotzdem großes Durcheinander, egal mit welchem Führungsprinzip.

    In wirklich komplexen Situationen, z.B. direkt im Gefecht, versagen abstrakte „Führungsprinzipien“ aus dem Lehrbuch. Meiner Erfahrung nach ist es auch nicht so wichtig nach welchem Prinzip geführt wird, sondern ob gute Rahmenbedingungen herrschen, wenig Bürokratie (!), und vor allem, dass Rahmenbedingungen von vornherein so angelegt werden, dass Stress-Situationen gar nicht entstehen oder abgepuffert werden.

  2. Ein guter Heurismus für Institutionen: Eine minimale Basis mit maximal genau-konkreten Regeln und genauer Fertigkeits-Ausbildung und strikter Kontrolle, dafür plus echte Freiheit für die restlichen sagen wir 90 Prozent. Gemeinhin herrscht: Keine sichere Basis, die aber zuviel vorgibt und nicht wirklich kontrolliert wird (kein „Minimax-Prinzip“, natürl. nicht im spieltheoretischen Sinne) und „nach oben“ unechte Freiheit, an die nur appelliert wird, wenn von Führungsversagen abgelenkt werden soll

  3. Sehr geehrter Herr Dueck,

    jahrzehntelang war ich Kriminalbeamter in Halle (Saale). Da wurden häufig Leute Chefs (vom Arbeitsgruppenleiter bis zum Präsidenten) da habe ich mich schon manchmal sehr gewundert.
    Ihr vorstehender Beitrag paßt da wie die Faust aufs Auge. Nun wundere ich mich überhaupt nicht mehr.
    Und in diesem Jahr ist wieder eine Bundestagswahl. Wer da wieder alles auf einen Chefposten erpicht ist (Steinbrück, Tritten und all die Konsorten) unglaublich.

    Mit freundlichen Grüßen

  4. Ich wünsche mir mehr „Kapitäne“, damit wir als Gemeinschaft handlungsbewusster und fähiger werden. Ich wünsche mir weiterhin einen gewissen Optimismus um daran zu glauben. Eine Vereinigung von Nationen, die nur aus Befehlsempfängern und Ja-Sagern besteht, wird uns vor den bestehenden Herausforderungen klein aussehen lassen.

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