DD214: Street Smarts und Meeting Smarts

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Street Smarts und Meeting Smarts

Sind Sie Book Smart oder Street Smart? Ich habe mich ein bisschen eingelesen, ich bin Book Smart.

Ich war gut in der Schule, leidlich brav, habe stets meine Hausaufgaben gemacht und durch die so genannte Bildung eine große Landkarte der Welt mitbekommen – so wie alles theoretisch ist und eigentlich sein muss. Street Smarts brauchen keine Landkarte, sie wachsen in ihrer Straße auf und kämpfen dort um ihr Überleben. Sie sind clever, gewieft und kampferprobt. Sie haben eine Intelligenz des Überlebens.

Das Urban Dictionary im Internet findet: A person who has a lot of common sense and knows what’s going on in the world. This person knows what every type of person has to deal with daily and understands all groups of people and how to act around them. This person also knows all the current shit going on in the streets and the ghetto and everywhere else and knows how to make his own right decisions, knows how to deal with different situations and has his own independent state of mind. A street smart person isn’t stubborn and actually listens to shit and understands shit.

Street Smarts sind situationserprobt, sie kennen jeden Menschen einzeln in jeder Stimmung und jeder Lage, sie haben schon jeden Scheiß (sagt das Lexikon) erlebt und können damit umgehen. Book Smarts verstehen die Zusammenhänge und die allgemeinen Verhaltensmuster, sie können ihr Wissen auf das Konkrete oft gut anwenden. Street Smarts haben nie Muster gelernt, die Welt besteht aus einer Kette von immer einzigartigen Vorfällen, mit denen man im Dschungel der Straße fertigwerden muss. Es gibt keine Landkarte im Dschungel und auch keine Gesetze, nur das eine Gesetz des Dschungels: friss oder werde gefressen.

Es sind verschiedene Intelligenzen! Book Smarts wie ich wissen, wie ein Motor funktioniert, aber ich kann an keinem sinnvoll herumschrauben. Ich habe vor ein paar Jahren bei den Arbeiten zu meinem Buch Professionelle Intelligenz eine Studie gefunden, in der so ein Phänomen ganz deutlich wird; ich zitiere einen Absatz aus meinem Buch:

Janke und Havighurst (Relations between ability and social status in a midwestern community. In Dunlap (Hrsg.): The Journal of Educational Psychology, Volume XXXVI, 1945) testeten Kinder verschiedener sozialer Klassen nach Intelligenz und nach mechanischen handwerklichen Fähigkeiten, wie sie Gegenstand des Minnesota Mechanical Assembly Test sind. Die 16-jährigen waren nach den sozialen Klassen A/B, C, D, E geordnet, A ist die höchste Klasse. Ihre durchschnittlichen IQ-Werte lagen in den Klassen bei 128, 112, 104 und 98, aber die Mechaniktestwerte bei 46.8, 51.6, 48.8 und 53. Was fällt uns dazu ein? Oberschichtkinder sind schlau, aber praktisch unbegabt. In den unteren Schichten ist es andersherum. Oder: Was man Kindern beibringt, lernen sie.

Gibt es noch mehr Intelligenzen? Ich habe einmal bei einer längeren Beratung einen sehr hochbezahlten Menschen fürchten gelernt, der in Meetings nur in Schlagworten redete (ärgerliche „Schwallerei“ für mich) und alles mit Plattitüden garnierte – es zog mir die Schuhe aus. Ich kam leider nicht gegen ihn an, die Worthülsen erschlugen mich, ich wurde wütend. In der Pause fragte mich ein Vorstand nach meinem Befinden. Ich druckste so höflich wie möglich, dass man solche Leute feuern müsste oder deren Existenz verbieten. Da lächelte der Boss lang und breit: „Oh, Sie missverstehen die Situation. Er gewinnt in allen Meetings – und in so etwas wie Talkshows, wenn Sie wollen. Natürlich hat er selbst keine Meinung, die geben wir ihm vor. Und er setzt sie im Meeting durch. Auch gegen Sie – Sie merken doch, dass Sie fachlich Recht haben, aber nicht Recht bekommen.“

Fortan sah ich ihn mit anderen Augen an. Er kämpfte ergeben als Meeting Samurai für seinen Herrn. Er schien nicht richtig (und ganz bestimmt nicht profunde) zu wissen, worum es ging, aber er gewann. Wir Book Smarts kamen mit Einsichten und generellen Erkenntnissen, aber er lebte in diesem Meeting. Nur hier, nur jetzt.

Es muss so etwas wie Meeting Smarts geben, die das Gesetz der Meetings verstehen. Kennt das jemand? „Überrede oder werde überredet?“ Sind unsere Politiker Meeting Smarts? Oder Street Smarts?

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12 Antworten

  1. Das eigentliche Dilemma bei Politikern lässt sich am besten anhand der Eltern-Kind Beziehung erären: Wer sein Kind fragt, ob es lieber Hausaufgaben machen und Aufräumen möchte oder lieber Spielen gehen und für das gesamte Gesparte Süßigkeiten kaufen will, der kennt die Antwort vorher. Ersteres führt zu momentaner Unbeliebtheit, im Nachhinein aber zu sehr lebensfähigen, dankbaren Erwachsenen. Zweiteres zu Begeisterungsstürmen in der akuten Situation, jedoch Später jedoch eher zu einer schlechten Situation. Da dem Gros der Wähler der Weitblick fehlt, sind Politiker – so sie länger im Amt bleiben möchten – zu populistischen Entscheidungen gezwungen. Da sich eine dauerhafte populistische Politik der Wahlgeschenke zwangsläufig irgendwann negativ auf die Lebenswirklichkeit der Wähler auswirkt, ist bereits klar, dass auch Populismus auf Dauer zu einer Abwahl des Politikers führen wird. Politiker sind demnach Rodeo-Reiter. Deren Ziel ist es, unter der Gewissheit des abgeworfen werdens möglichst lange im Sattel zu bleiben. Eine Bookintelligenz würde diesen Schauplatz gar nicht erst als Akteur betreten. So wie ein Harvard Absolvent es für wenig erstrebenswert halten würde, nach dem Abschluss eine Karriere als Gangleader eines Häuserblocks in der Bronx anzupeilen.

  2. me wären meeting smarts eher den street smarts zuzuordnen: Information im Vorfeld sammeln, wer hat welche Motivationen, was ist das Ziel des Meetings, wer agiert wie, je nach Wichtigkeit des Themas Lobbying machen und Verbündete suchen, „Lagebild“ erstellen, rhetorische Kniffe vorbereiten, bis hin zur Choreographie zusammen mit Verbündeten (zB good cop, bad cop). Und die Fähigkeit, dieses Lagebild während des Meetings immer wieder anzupassen sowie situationsabhängig zu unterstützen oder gegenzuwirken (Gas und Bremse, vielleicht sind meeting smarts gute „meeting autofahrer“). Ein meeting Gesetz gibt es vermutlich nicht, nur die Erkenntnis, daß auch in Meetings die unterschiedlichen Sichten auf eine Sache aufeinandertreffen und ohnehin nie eine Sicht alleine im book smart Sinn „absolut richtig“ sein kann.
    Problematisch wird das natürlich, wenn im Nachgang zu einem Meeting die im Meeting überteuerten TeilnehmerInnen für die Implikationen verantwortlich gemacht werden, zB „hätten sie doch was über die Risiken gesagt“ (Beispiele gibt’s bei Dilbert und NASA Absturzuntersuchungen…). Da lassen dann die street smarts ihren Opportunismus raus hängen und treffen wiederum auf vollkommen wehrlose book smarts.
    Vielen Dank für den „Meeting Samurai“. Ist der jetzt Hund oder Katze? Jedenfalls für mich eine wunderbare Ergänzung dieses Bildes:-)

  3. Dieser Beitrag passt sehr gut in die Thematiken, mit denen ich mich noch vor kurzem auseinander gesetzt habe. Es geht da um Gewinn-Verlierer-Denken und Win-Win-Denken und in wie fern es überhaupt möglich ist, mit manchen Menschen Win-Win-Lösungen zu finden, die im Grunde nur Gewinnen als Ziel haben. Z. B. bei einer mediativer Konfliktbearbeitung ist das nämlich wichtig, dass beide Parteien wirklich zur Suche nach einer solchen Lösung bereit sind.
    Wie hier in Ihrem Beitrag ist Gewinnen um jeden Preis im Vordergrund. Da geht es nicht um Fakten, fairer Argumentation und guter Lösungsfindung. Mich würde das stören, wenn ich solche Meetings erlebte, da so keine wirklich guten Ergebnisse herauskommen.
    Durch intensive Streitgespräche mit meinen Vater kenne ich das. Dadurch habe ich gelernt, wie ich Gehör bekomme trotz Aussagen, die wie in Fels gemeisselt erschienen. Aber ich fand es immer unheimlich anstrengend und wurde mir manchmal selbst unsicher. Heutzutage weiß ich, dass es ihm fast nie um wirkliche Klärung ging, sondern nur ums Gewinnen. Daher gehe ich damit mittlerweile anders um, spare meine Energien und bleibe mir selbst treu. Interessanterweise hat das bei unseren Gesprächen auch schon einiges an positiver Veränderung gebracht.

  4. „Binäre Kackscheisse“ 😉

    Ich behaupte: Ich bin irgendwo dazwischen. Street Smart und Book Smart. Ich komm aus dem „sogenannten“ Bildungsfernen Milieu (sic) Abi, Studium, Meisterbrief u.s.w. alles selbst erarbeitet. Und so traf ich erst ltz. wieder einen Meeting Smarten. Natürlich gab das „Zoff“. Nein, ich kann dann bei so was nicht beim Dr Jeckyl bleiben, da kommt dann der Mr. Hide hervor o.O. Und, das „Problem“ sind dann m.E. eigentlich die Binäre Struktur in die so Menschen wie ich gar nicht reinpassen oder sogar „rausgeekelt“ werden. Positioniere dich oder du fliegst raus…. Wo geht da unsere Gesellschaft hin?

    Achja, und wo wir gerade bei „Kackscheisse“ sind. 😉 @Boris Crismancich: Selten hab ich solch einen Pädagogischen „Dünnpfiff“ gelesen wie von Ihren. Ich habe 2 Kinder, wer „beschützt“ die eigentlich vor Reaktionären und Autoritären und meist selbsternannten „Kinderschützern“.

    @alle: Kleines Gedankenspiel?! Stellt euch vor ein Mensch kommt auf die Welt und ist „gut so wie er/sie ist“ – oder „die sind fertig“ (Bspw. Weiss ein Neugeborenes genau wann es Hunger hat oder Schlafen will) Und durch die Erziehung wird der Mensch in die Welt hinein dressiert. Seit 6j. geht meine Jüngste zur Schule und entscheidet selbst(ständig) wann sie abends ins Bett geht. Und bevor hier jetzt die Trollerei losgeht, natürlich haben Elter einfluß und Lebensweißheiten die Kindern vermitteln sollten. Die Frage ist das „wie“….. 😉

    Good Night & Good Luck

  5. Book Smart oder Street Smart, ein altbekanntes Phänomen, das bereits Witze mit einem langen Bart hervorgebracht hat. Ein Beispiel:
    Ein Arzt wird dringend zu einem Handwerksmeister gerufen, Herzbeschwerden. Der Arzt zum Patienten: Hier haben Sie Tabletten. Davon nehmen Sie eine alle 5 Stunden. Wenn es nicht besser wird, kommen Sie in einer Woche in meine Praxis.
    Monate später ruft der Arzt den Handwerksmeister an: Bitte kommen Sie dringend, in meinem Keller sammelt sich Wasser an. Der Handwerksmeister, noch sehr geschwächt von den Herzproblemen, kommt, sieht das Wasser. Er gibt dem Arzt eine Packung mit Dichtringen: Hier haben Sie Dichtringe. Davon werfen Sie alle 5 Stunden einen in das Wasser. Wenn es nicht besser wird, rufen Sie mich in einer Woche wieder an.
    Historisch gesehen siehe auch – Die Bibel: Der erste Brief an die Korinther, 7,7:
    „Aber ein jeglicher hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.“
    Hauptsache ist: Die Dinge werden in neue Phrasen verpackt, Anglizismen eignen sich da gut; und schon ist ein altbekanntes Thema wieder modernisiert und aktualisiert. Vielleicht kann Book und Street ja noch den „T-Shape Smart Grade“ erklimmen.

  6. Ich finde solche in Meetings und als Menschen z.T. sehr anstrengend, wenn Argumente nichts bringen und sich alle vom Schwätzer einlullen lassen.

    Es gibt solche Menschen, man kann sie auch den geborenen Verkäufer nennen.

  7. „Überrede oder werde überredet“
    Das ist auch am Stammtisch so. In der Kirche hat einer das Monopol drauf. Und in der Politik besteht der Wahlkampf vor allem aus reden. Was man dann wirklich bekommt, erfährt man wie immer erst hinterher…

  8. In den Mechaniktestwerten 46.8, 51.6, 48.8 und 53 sehe ich keinen Trend wie bei den IQ Werten. Ist die handwerkliche Fähigkeit in der Studie nicht eher unkorreliert zur sozialen Klasse?

  9. Ich habe mich auch oft in Meetings über diese spezielle Begabung der Street Smarts geärgert, jedenfalls solange ich noch dachte, es ginge um den Austausch von Argumenten zur rationalen Entscheidungsfindung. So was mag es vielleicht wirklich geben, der Regelfall ist es aber nicht. Sieht man Meetings aber mit anderen Augen und betrachtet sie eher als ein (Wett)Spiel zur Festigung oder Klärung von sozialen Beziehungen, so kann man es sogar geniessen. Nur schade, dass so viel Zeit dafür verloren geht.

    1. Zum letzten Satz hat m.E. GD schon früher eine Schätzung abgegeben, dass zur Klärung „innerbetrieblicher Reibungen“ leicht 40% !! der Aufwendungen des Unternehmens (Zeit, Geld, Geduld, …) verbraucht werden!
      Eine Nachfrage bei Kollegen hat ergeben, dass es möglicherweise sogar ein noch höherer Prozentsatz sein könnte.
      Aufgrund der „menschlichen Verschiedenheiten“ ist es vielleicht besser diesen „Preis“ zu bezahlen, als alternative „Lösungen“ zu erleiden?!

  10. Etwas spät melde ich mich zu Wort. Vielleicht liest es ja trotzdem noch jemand.
    Das kam mir sehr bekannt vor. Nicht von den Begriffen her. Ich kam drauf: Vera F. Birkenbihl, Birkenbihl on Management, Gruppendynamik: Schlüssel zu erfolgreichen Meetings! Ich finde: Lesenswert.

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