DD224: Facebook-Führerschein und Freisurfer (September 2014)

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DD224: Facebook-Führerschein und Freisurfer (September 2014)

Neuerdings wird immer wieder gefordert, das Surfen sollte in der Schule gelehrt werden. Was denn noch alles? Witzig, was alles NICHT in der Schule vorkommt: Psychologie, Medizin, Jura, Wirtschaft, Selbstentwicklung – na, alles, was wir im Leben brauchen. Und dann kommen immer neue Forderungen hinzu, das Internet zum Beispiel. Dabei muss man doch bitteschön zuerst das Wichtige lernen, zum Beispiel wie viele Kelchblätter die Tulpe hat und wie man die Funktion sinn(los x) mit der Kettenregel ableitet.

Beim Internet geht es vorrangig nicht darum, dass man das Surfen lernt (wie in der Schule die Sonette von Gryphius), sondern dass man es kann. Das ist genauso wie beim Autofahren. Das Fahren ist nicht so einfach, aber jeder muss es sicher beherrschen – nicht einfach nur mal lernen. Deshalb machen wir einen Führerschein. Schauen wir auf das Schwimmen: Bevor man ins Tiefe springt, sollte man Schwimmen können. Dafür macht man den Freischwimmer! Nicht so wirklich in der Schule, einfach für sich selbst.

Ich fordere Führerscheine für Internet, Facebook, Internetbanking, Sicherheit, was weiß ich. Die gibt es schon an vielen Stellen! Es gibt tatsächlich alles, auch ein Internetseepferdchen. Surfen Sie doch einmal!

Das aber ist nicht der Punkt. Ich würde die Latte richtig schön hoch legen. Die liegt beim Nichtschwimmer und bei Auto-Newbie auch einigermaßen hoch. Es muss eine Errungenschaft sein, etwas geschafft zu haben – hinterher sollte das „Welcome in the club“ sich krass anfühlen, nicht so wie das Herumalbern mit einer Baby-Übung.

Überall ist es so! Die Leute sind stolz, schwarze Pisten abzufahren, erst dann fühlen sie sich gut! Dagegen hat die Erteilung des Großen Latinums in mir keinen großen emotionalen Widerhall erzeugt.

Ja, und wenn das alles so eingeführt wird, könnten wir doch auf die Älteren ebenfalls eindringen, ebenfalls ein Internetseepferdchen zu erwerben. Die schwimmen jetzt eher auf der Gegenstolzlinie „Ich bin ein überzeugter Offliner und kein böser Mensch!“ In dieser Weise machen Internetveganer (gibt es schon ein Wort für solche Klickkeusche?) aus ihrer Berührungsangst eine Ideologie. Am besten haben sie für das Internet eine eigene Sekretärin. „Die druckt alles aus.“ Oder: „Wenn ich etwas im Internet kaufen will, macht das meine Enkelin für mich. Wir lassen sie nur 10 Minuten täglich surfen, aber sie hat dort schon eine Menge gelernt. Wir bewachen sie natürlich, dass sie keine Viren einfängt, zum Beispiel von der Firma Java, die wollen uns immer was downloaden. Nee, nee, da passen wir schon seit Jahren auf, leider geht trotzdem vieles auf dem Computer nicht mehr richtig.“

Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr so ganz: Wir haben das Internet nun schon zwanzig Jahre. Immer noch verwenden die Leute keine Passwörter für ihr Handy, oder sie schreiben es hinten auf einen Aufkleber. Ältere Manager brüllen im ICE „Meine Mailadresse ist Name@aol.com und das Passwort ist einfach mein Name! Loggen Sie kurz ein und lesen Sie mir jetzt laut die gerade verschickten Firmengeheimnisse vor! Bieten wir nun eine Milliarde zum Kauf der Firma X oder nicht? Aha, wir bieten. Gut, dass es keiner weiß.“ Und solche Leute erklären zu Hause ihren Kindern das Internet. Hilfe! Alle sollen einen Führerschein machen, alle – so wie ich ihn auch zum Beispiel bei Statistik für Geisteswissenschaftler und Mediziner gut fände. Und für Wirtschaftswissenschaftler – eigentlich für die ganze Studienindustrie und vor allem für Leute, die Studienergebnisse interpretieren.

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17 Antworten

  1. Absolut Klasse und punktgenau. Und sprachlich schön, dass mans gerne 2 oder 3mal liest.

    Angesichts des Geschreis unterwegs in allerlei Mobiles habe ich schon mal kurz erwogen, ein Geschäfts-Modell draus zu machen. Mir fehlt bloß die kriminelle Energie.

    Mich würde aber interessieren, ob und wie auf solche Art aufgedrängte Informationen überhaupt vor Verwendung durch andere geschützt sind, als juristisch? Von Ausspähen kann da ja wohl nicht die Rede sein, weil diese Infos ganz passiv und sogar unerwünscht über einen hereinbrechen…?

  2. Einem Menschen kann man trauen, das haben wir gelernt! Wir schauen ihm näher ins Gesicht und hören zu, was er sagt!
    Dem PC aber kann man nicht so ohne weiteres vertrauen. Was er verlangt und wer über ihn alles so an Sachen verlangt, wer soll sich da denn auskennen? Ich kenne jemanden, der seinen laptop fest wegschloß, weil er eine Mail von Käthe, mit einem schlüpfrigen Witz, erhielt, der unmöglich von ihr stammen konnte. „Käthe macht so etwas nicht!“

  3. Wieso muss ich eigentlich außer ominsophie.com auch twitter.com und facebook.net erlauben, diese Kolumne (korrekt? vollständig? fehlerfrei? …) zu lesen?
    Was entgeht mir, wenn ich versuche, (selbst“erfahrene“) Regeln einzuhalten?

    Konsequenz??

    Ansonsten: wieder mal tolle Formulierungen und zeitgemäße Betrachtungen: Super!

  4. Die Sache mit dem ‚Internetausdrucken‘ gibt es in der Tat schon. Auf free21.org werden Internetseiten von Typographen so überarbeitet dass man sie gut ausdrucken kann.
    Sinn der Website ist es, dass die Infos auch in der offline Welt ankommen. Denn wenn man etwas online liest dann ist es weniger glaubwürdig als wenn es „schwarz auf weiß“ geschrieben steht.

  5. Wie immer haben Sie recht und sind der Zeit voraus. Danke für die Inspiration, die Sie hier und mit Ihren Vorträgen liefern. Ein kleiner Verbesserungsvorschlag: fügen Sie größere Zeilenabstände zwischen den Absätzen ein: das würde das Lesen (besonders auf mobilen Geräten) wesentlich erleichtern. Danke.

  6. „…dass sie keine Viren einfängt, zum Beispiel von der Firma Java, die wollen uns immer was downloaden.“

    Ich lach‘ mich schlapp!! Genau diesen Satz habe ich (sinngemäß) schon live gehört!

    Allerdings erkenne ich als Internetenthusiast der ersten Stunde – Galaxy Browser… lange vor Netscape – doch einen gravierenden Unterschied zwischen Schwimmen, Autofahren und Surfen: Die Dynamik.
    Das Fach Schwimmen hat null Entwicklungsdynamik, das Fach Fahrzeuglenken durch ESP & ABS eher eine rückläufige Dynamik. Das Fach Surfen hingegen entwickelt sich schneller, als man einen Führerschein durch alle Deutschen Gremien bringen könnte.

  7. Nö, Herr Professor, brauchen wir nicht. Wenn die Beherrschung des Digitalen eine weitere Kulturtechnik ist/sein soll, wie Lesen und Schreiben und Rechnen, dann durchdringt es alle Fachgebiete und ist eben keine Spezialberechtigung mit Abschlusszertifikat oder Ausweis/Lizenz. Wir machen z. B. auch keinen Leseführerschein usw. sondern lernen das Lesen (einfach) in der Grundschule oder, je nach individuellem Entwicklungstempo, auch schon davor. Digitale Analphabeten haben es schwer, „wachsen“ aber mit der Zeit raus oder lernen es in der Vhs.

  8. Guten Tag,
    wieder ein Tipp der Deutschland daran erinnert was wir anpacken sollten und worüber wir nicht nur debattieren sollten ! Der Schulunterricht wie in der Steinzeit ist sicher keine gute Grundlage mehr ! Als Rentner komme ich „endlich“ zum Lesen, aber selbst dafür reicht die Zeit nicht ! Drei ungelesene Bücher liegen vor mir, einmal nicht von Ihnen: „Sie wissen alles“ von Yvonne Hofstetter, „Die Neuerfindung des Erfolgs“ von Arianna Huffington und „Silicon Valley“ von Christoph Keese. Würde ich gern weiterempfehlen, aber wer hat schon die Zeit das alles zu lesen. Aber der Kauf ist schon mal ein Anfang !

  9. Weisheit von Arthur Schopenhauer: Anfangs werden neue Ideen belächelt, später bekämpft, und irgendwann sind sie selbstverständlich. In jeder Phase ändern sich unsere Einstellung. Argumente dafür oder dagegen bekommen eine andere Gewichtung.

    Man denke nur an die Kommentare zu den ersten Autos von Daimler und trotzdem möchte heute niemand mehr ohne Auto leben. Vielleicht gibt es bald das selbstfahrende Auto, die Auswirkungen wären in der Tat gravierend wie von Herrn Prof. Dueck prophezeit.

  10. Bei jeder Art „Führerschein“ gibt es die vier Stufen der Kompetenz. Für das Internet könnte das so aussehen:

    1. Unbewusste Inkompetenz: Ich weiß nicht, dass ich nichts weiß. Ich weiß weder was von Internet oder Google und habe den Rest vergessen. Computer sind mir unheimlich. Ich habe andere Probleme.

    2. Bewusste Inkompetenz: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Immerhin. Google kann ich schreiben, ein Passwort für „alles“ habe ich, kann es mir auch merken, es ist einfach genug. Dass das gefährlich ist, weiß ich. Aber ich habe keine Zeit und keine Energie, diesen Zustand zu ändern. Überhaupt ist im Internet vieles zu gefährlich, wer weiß, was da alles passieren kann. Ich gehe nur auf eine einzige Internetseite, vielleicht zwei. Bezahlen werde ich weiterhin mit Bargeld und Überweisungen mache ich in der Bank. Das ist wengistens sicher.

    3. Bewusste Kompetenz: Ich weiß, dass ich ein bisschen weiß, aber lange nicht genug. Ich habe den Internetführerschein und versuche ständig, mich auf dem neuesten Stand zu halten, meine Passwörter sind sicher, aber ich habe aber immer das Gefühl, nicht genug zu tun. Ich kümmere mich und versuche verzweifelt, Software und Sicherheit auf dem letzten Stand zu halten. Ich bin ein digitaler Sisyphos, lebe mit den Unzulänglichkeiten, aber glücklich bin ich darüber nicht.

    4. Unbewusste Kompetenz: Ich weiß, was ich weiß und wende es an. Ich denke nicht mehr über die Grundlagen der Digitalisierung nach, ich lebe sie. Für mich ist alles einfach, da ich verstanden habe, was ein gesellschaftliches Betriebssystem bedeutet. Meinen Internetführerschein hatte ich schon bevor ich in der Schule war. Ich nutze es ganz selbstverständlich wie ein Werkzeug, lasse mich nicht vereinnahmen und weiß, wo meine Daten sind, wer Zugriff darauf hat und wo die Gefahren sind, wenn ich etwas mache oder unterlasse. Ich weiß, was ich tun darf und was nicht. Ich kenne die Konsequenzen meines Tuns und die Gefahren des Internetbankings. Die Zeiten in denen ich für andere erreichbar sein will, kontrolliere ich selbst.

    Alle vier Stufen sind immer und gleichzeitig in der Gesellschaft vorhanden, aber nicht immer in gleichen Anteilen. So wird das Thema auch zukümftig noch aktuell sein, weil nicht immer alle die gleichen Stufen der Kompetenz erreicht haben.

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