DD323: Nur Branchenkenner sind befugt zu reden! Eine Wein-Story. (Juli 2018)

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„Sie sind nicht aus der Branche, das merkt man sofort. Das geht nicht so leicht, wie Sie denken.“ – „Diese Startups werden schon alle Probleme kennenlernen, wenn sie an die Wand fahren.“ – „Uns macht man nicht so leicht etwas vor, wir haben eine lange Erfahrung, und die werden wir natürlich selbstbewusst ausspielen, ganz klar.“ – „Bange machen gilt nicht, soll jetzt alles plötzlich verkehrt sein?“

Von außen sah man Amazon schon lange zur Bedrohung des Handels werden. Googles Erfolge und die von Facebook waren lange vorher klar. Jetzt jammern alle schon heute Betroffenen und lecken sich die Wunden. Die noch nicht Betroffenen weinen später. Sie wollen sich absolut nicht intuitiv auf einen Blick von außen auf ihre Branche einlassen. Von außen sagen schon viele: „Internetapotheke ist okay.“ – „Skype-Arzt ist okay.“ – Sofort schreien die Insider auf. Genauso zitterten vor Jahren die Banker rasend vor Ungeduld über den dummen Spruch: „Internetbanking ist okay.“

Ich muss jetzt eine alte Geschichte ausgraben, nämlich die Story des US-Ökonomen Orley Ashenfelter, der sich überlegte, wie man die Qualität eines Bordeaux-Weinjahrganges früh voraussagen oder erkennen könnte, um dann bei der Wein-Spekulation Gewinne zu erzielen. Je nach Weinjahrgang wird der Wein nämlich manchmal richtig gut oder eben oft nicht, die Preise differieren stark. Bordeaux reift erst einmal längere Zeit in Fässern (18-24 Monate) und entwickelt sich erst langsam in der Flasche. Eine Anekdote dazu: Neulich probierten Kunden in einer Weinhandlung drei Jahre alte Bordeaux-Weine, die gerade neu in den Verkauf gekommen waren. Der Weinhändler raunte mir zu: „Das ist Kinderschändung, die jetzt schon zu probieren.“ Soll korrekt heißen: Richtig gute Bordeaux brauchen ihre Zeit.

Jetzt muss man aber, wenn man mit Wein spekulieren will, möglichst schnell entscheiden, ob der neue Jahrgang gut ist oder nicht. Man vertraut in der Regel darauf, dass Weinpäpste wie Robert Parker jr. mit Schlürfen, Zungenumwälzen und Ausspucken ganz früh in den noch „untrinkbaren“ Weinen die kommenden Stars entdecken können. Ashenfelter aber dachte nach, was einen guten Weinjahrgang wohl auszeichnen würde. Na, jeder weiß das irgendwie: Im Winter/Frühjahr gut Regen, im Herbst viel Sonne.

Ashenfelter nahm alle verfügbaren Vergangenheitsdaten und setzte eine statistische Regression an. Ergebnis:

Jahrgangsgüte  = 12.145 + 0.00117 Winterregenmenge + 0.0614 Durchschnittstemperatur während der Wachstumsphase – 0.00386 Herbstregenmenge.

Diese Formel performte in den 80/90ern besser als das Gefühl der Weinpäpste! (Ich finde leider keine neuen Erfolgserlebnisse mit dieser Formel im Netz, es gibt ja auch einen Klimawandel – daher müsste man die Formel auch ändern! Oder viele mathematisieren jetzt im Geheimen?)

 

Quelle: Pixabay

Robert Parker zitierte man damals etwa so: „Filmkritiker müssen also den Film gar nicht mehr anschauen?? Sie addieren am besten Punktzahlen der Hauptdarsteller und des Regisseurs??“ Britain’s Wine Magazine: „The formula’s self-evident silliness invite[s] disrespect“. Und es hagelte Vokabeln wie lächerlich, grob gewaltsam mathematisch, hysterisch und so weiter. Niemand schien „aha!“ zu sagen. Niemand schien die zynische Empörungsidee Parkers gut zu finden oder ernst zu nehmen, die Filme per Computer auszuwerten. Nein, der Wein muss unbedingt gekostet werden. Eine Beurteilung aus der Ferne wird ausgeschlossen. Dabei kann man doch heute Politiker fast nach drei Sätzen… ich lasse das einmal.

Anderes Beispiel: Bei einer Konferenz berichtete jemand aus dem Hause Bertelsmann, wie man einstmals in einem Meeting um einen Konferenztisch herum gesessen habe. In der Mitte des großen Tisches lag ein iPod. „Ist das Konkurrenz zur CD?“ Man beschloss im Meeting, dass Jugendliche unbedingt mit dem Besitz einer CD- oder Plattensammlung bei anderen angeben wollten, daher sähe man im iPod keine Gefahr. Der „Besitz!“ des Tonträgers sei der Wunsch des Kunden, den man doch so lang schon kenne. Drei Stunden später ging es auf der Konferenz um Autos (das ist ca. zwei Jahre her). Ich meinte in die Runde, die Autohersteller würden ganz genauso potentiell irren wie Bertelsmann! Wenn nämlich der Tonträgerbesitz ein falscher Gedanke war, wäre da nicht Analoges bei Autos im Raum der Möglichkeiten? „Hören Sie bloß auf, Auto sind etwas anderes als Musik!“ Und: „Haha, nett gefragt, Sie haben ein seltsam assoziatives Gehirn, dass Sie auf solche Gedanken überhaupt kommen. Nett! Ganz nett!“

Und wenn man heute mit Big Data kommt (oder auch nur mit ein bisschen Statistik), dann sagen sie alle: „Du verstehst das nicht. So simpel ist es nicht.“ So muss sich Kepler gefühlt haben…

 

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8 Antworten

  1. Analogieschlüsse sind natürlich grundsätzlich auch eine Denk-Gefahr. Sobald sie aber scheinbare „Wahrheiten“ zerrütteln können, sind sie einfach nur stark.
    Diese Runde scheint hingegen aus BWL-geklonten Auto-Menschen des alten Schlags bestanden zu haben. Mit Immunisierung gegen Argumente, gestählt aus langjähriger „Organisationslogik“. Schade nur für ihre Mitarbeiter(innen), die das mit ausbaden müssen. Eigentlich müsste man aus solchen Äußerungen einen Index basteln, welche Aktien leider dringendst abzustoßen sind.

  2. Disruptive Entwicklungen kann sich ein Insider nie vorstellen. Strukturelle Änderungen sind immer mit Machtveränderungen verbunden. Wie beschreibt Kuhn dies für die Wissenschaft so treffend: Neue Ideen gewinnen nur deshalb an Einfluß, da die Vertreter der alten Ideen langsam aussterben.
    Für ein Unternehmen bzw deren Leiter ist es schwer, die Sicherheit bekannter Abläufe auf zu geben und ins Risiko zu gehen.
    Oder wie sagt Kahnemans: Phychologisch ist es schwer, Bekanntes für Unbekanntes aufzugeben. Umso Älter man wird, umso schwerer fällt dies.

  3. disruptive Entwicklung – endlich suf dem Vormarsch und auch die letzten werden es irgendwann merken und sich über die vertane Zeit ärgern.

    allerdings ist auch ein Risiko hierbei zu erkennen > disruptiv heißt nicht unveränderliche Grundgegebenheiten außerkraft setzten zu können. diese denkweise ist leider recht häufig zu erkenne. die Funktionsweise eines Prozesses ist und bleibt identisch egal um was es geht, welche Hilfsmittel genutzt werden und in welchem Bereich oder Ebene man sich gedanklich gerade und in der Folge auch physisch aufhält.

  4. Mir fehlt bei diesem Artikel irgendwie eine Pointe oder eine echte Zuspitzung. 😉 Als gelernter Autoverkäufer kann ich das Drama wie o. b. derzeit bestens an der Automobilwirtschaft ablesen, die seit über 20 Jahren Autos aus Asien prüft, zerlegt, analysiert und z. B. mit der staatlichen Neuausrichtung „Japan 2050“ auch konkret ablesen kann, was auf Europa zukommen könnte. Nur, es ändert sich absolut gar nichts! Der Staat hat den Bürgern mittlerweile über die mangelnde Bildungweise (statisch, anstatt dynamisch) unserer Kinder und die mangelnde Einflussnahme auf konkrete politische Entscheidungen (Mitbestimmung) einfach aberzogen, dass wir unseren Kopf gebrauchen sollten. Sorry, auch wenn es etwas Eigenwerbung ist, aber als zukünftiger „Pre-Lean“-Consultant werde ich mich im KMU-Bereich genau diesen Problemen stellen. Nicht das lustige „A3-Quality-Process-Sheet“ hilft in der Produktion zu besserer Effizienz und weniger Fehlern, sondern nur, wenn der Werksleiter/in selbst begriffen hat, dass ihm nicht die Zahlen helfen sondern seine Mitarbeiter oder externe Einflüsse durch externe Lean-Coaches. Das hat einen japanischen Autohersteller an die Spitze der Weltmärkte geführt. Auch wenn hier Deutschland mit Hilfe hunderter Lobbyisten den Bürgern etwas anderes einreden möchte. Dann können nämlich selbst schleichende Prozess später zu disruptiven Veränderungen führen. Ganz am Anfang waren sie dies aber nicht!

  5. ?@ Klinkenberg, es lässt sich alles an einem Prozess ändern, bis auf das Ziel. Mit dessen Auflösung wird der Prozess obsolet. Die scheinbare Efizienz eines Prozesses an sich ist kein Wert. Die Erlangung einer durch Dynamik erreichen Überlebensfähigkeit, ist wohl oft wichtiger als die Perfektion vor dem Tod.

  6. „Pre-Lean“-Consultant und Autoverkäufer ist doch das gleiche. Dies ist doch eine Herauslösung eines Aspektes einer ganzheitlichen asiatischen Philosophie durch europäische Betriebswirte (Bürokraten des Geldes), wobei sich der Bürokrat, ja an sich durch seine Lebendigkeit auszeichnet.
    Ein Argument um sinnlos Beratungsbedarf zu generieren. Vielfalt könnte zu Lösungen führen, nicht Einschränkungen. Die Schere im Kopf braucht keine neuen Schnittmuster.

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