DD343: Kriterienkacker, Excelenzen und DIN-Startups

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Sie kennen ja den Begriff des Korinthenkackers, mit dem man einen engstirnig peniblen Charakter disst.

Dieser hat Verwandte: Erbsenzähler, Kleinkarierte, Bürokraten, Abhaker, Checklistige und Excelenzen.

Alle diese haben wichtige Aufgaben: Sie sorgen dafür, dass an alles gedacht wird und dass alle Vor- schriften eingehalten werden. Weil sie das tun und tun müssen, werden wir Fehlerhaften von ihnen oft an den Ohren gezogen und ermahnt. Das mögen wir nicht und bedenken sie deshalb mit den genannten wenig wertschätzenden Bezeichnungen.

Oft verlangt eine verwarnende Vorschrifteneingrenzung einige schmerzhafte Ehrenrunden in Projekten und kann sehr viel Geld und Nerven kosten (Berliner Flughafen: „Brandschutz vergessen“). Da schütteln wir uns vor Unwillen, weil die Hauptsache eines Projektes an gefühlten Nebensächlichkeiten scheitern soll. Zähneknirschend nennen wir diese korrekten Hoheiten (wenn sie nicht im Raum oder Chat sind), Geschäftsschädiger oder Projektverhinderer.

Fragen wir sie aber selbst, dann verteidigen sie sich mit dem sehr guten Argument, dass man sie ja schon im planenden Vorfeld in das Projekt hätte einweihen können, sodass ihre Bedenken schon an dieser Stelle eingeflossen wären. Sie wollten doch keine Unmenschen sein, sondern nur für Korrektheit sorgen – und sie würden auch sehr unter unseren ungerechten Vorwürfen leiden, die das Klima vergifteten, und zwar auf beiden Seiten. Das Problem entstünde dadurch, dass wir uns nur um unsere Hauptideen kümmerten und ignorant gegen hindernde Regeln wären. Deshalb müssten sie nun alles kleinlich abhaken! Aber es sei doch bitteschön unsere Aufgabe, alles fehlerfrei abzuliefern – nicht die ihre. Sie müssten unseren Job machen!

Das stimmt wohl irgendwie…

Quelle: Pixabay Photo

Noch einmal festgestellt: Das Checken, Abhaken und Kontrollieren hat seinen absoluten Sinn, wenn die Qualität eines Produktes oder eines Services sichergestellt werden muss.

Es gibt aber Grenzen der Häkchen, die beim Überschreiten graue Haare bescheren. Wenn Meisterhaftes, Neues, Kreatives und Außergewöhnliches beurteilt werden sollen, haben Kriterien weniger Sinn als sonst. Sie führen oft zu komplettem Unsinn und be-/verhindern alles Herausragende.

Das Abhaken sorgt nur dafür, dass etwas „richtig“ gemacht wird, dass also keine Fehler gemacht werden. Der Prozess soll eingehalten werden, alle Dokumentationen müssen vorliegen. Wie aber beurteilt man Kunstwerke? Vielleicht haben Sie den Film „Bohemian Rhapsody“ gesehen – darin kommt dieser erste Nummer-Eins-Hit von Queen prominent vor. Man wollte ihn damals nicht produzieren, weil er 5 min 55 sec dauert. Das Kriterium der Song-Länge war verletzt. Kein Haken bei < 3:30 min oder so. Geht nicht, abgelehnt. Merke: Das Bestehen auf das Einhalten ALLER Kriterien versagt bei „Was ist Kunst?“, bei „Wer ist ein Genie?“ oder „Wird dieses Startup ein Einhorn?“.

Das Genie, der herausragende Künstler oder der begnadete Entrepreneur erschaffen „aus sich selbst heraus“. Die Resultate ihrer Schöpfungen halten sich eben nicht an die bestehenden Regeln. Die Allgemeinheit und besonders die Kriterienkacker bestehen aber auf der Beurteilung auf der Grundlage des gegenwärtigen Denkens. Sie verstehen nicht, dass das Neue Große nicht über Raster begriffen und gewürdigt werden kann – und dass ein Urteil, ob etwas wahrhaft groß ist, so oder so oft glatt daneben liegen kann, was fast alle Inverstoren und Kunstersteigerer leidvoll erfahren müssen. Urteile über Neues Großes sind eminent schwierig. Ist es überhaupt normal Sterblichen vergönnt, das Große auf Anhieb zu spüren und von der Spreu sicher zu trennen?

Wenn man die Biographien berühmter Künstler liest, sieht man, dass sich die viel später als Genie in Kunst und Wissenschaft Gewürdigten oft persönlich kannten und befreundet waren: Sie verstehen also untereinander, so scheint es, wer ein Genie ist. Und wir eben nicht? Und Kriterienkataloge ganz bestimmt nicht, das ist klar!

Neulich berichtete das Handelsblatt, es würde eine DIN-Norm für Startups geben. Es gab einen Entrüstungssturm bei Twitter. Der Gedanke, Startups in ein Raster einzusperren, ließ Grauen aufsteigen. Teilentwarnung: Es ging nicht um eine neue harte Norm, sondern „nur“ um einen Leitfaden mit dem Namen DIN SPEC 91354, der sich zum Ziel setzt, alle Punkte aufzulisten, die ein Jungunternehmer beachten soll, damit er nicht gleich an groben Schnitzern scheitert.

Ich bin nicht dagegen, Jungunternehmern Leitfäden an die Hand zu geben, damit sie keine dummen Fehler begehen. Leitfäden und Kriterien haben ihren Sinn, ich sagte es schon.

Kriterienkataloge aber, besonders wenn sie DIN heißen, eröffnen fast zwangsläufig Irrwege:

  • Banken/Kreditgeber/Behörden, deren Sachbearbeiter keine Ahnung vom speziellen Business des Startups haben, prüfen dann doch wieder als Kriterienkacker, ob überall ein Haken drankommen kann. Wissenschaftler zum Beispiel, die Drittmittel für das Erforschen des Unbekannten einwerben wollen, müssen das noch Unbekannte genau detaillieren, damit es beurteilt werden kann. Jungunternehmer müssen üblicherweise den Umsatz der nächsten fünf Jahre kennen, na dann Prost! Haben Sie die Gewinnwarnungen der DAX-Konzerne in den letzten Wochen gelesen (Deutsche Bank, BASF, BMW)? Nicht einmal die wissen, was Trump so bringt…
  • Jungunternehmer selbst starren zu sehr auf die Kriterien für ihre Kreditwürdigkeit und versuchen sie ebenso zwanghaft zu erfüllen. Sie glauben am Ende, ihr Erfolg sei sicher, WEIL alle Haken dran sind. Sie verstehen nicht, dass das Befriedigen der Kriterienkacker vielleicht notwendig sein kann, aber nichts ist, was „Genie“ wäre.

Kriterien helfen dabei, keine Fehler zu machen und vielleicht sogar, alles ganz gut zu machen. Aber eine Fixierung auf Kriterien verengt den Blick in das All und verblendet den Ausblick auf das Neue Große.

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11 Antworten

  1. Sehr schön und ich stimme zu. Allerdings glaube ich noch an eine Philosophie, die Management und Innovation unter einen Hut bringt. Wegen Ihnen habe ich mir da mal Gedanken gemacht 😉 ich verlinke es mal als „Webseite“. Ich sollte auch mal wieder ein Update machen, hab noch ein paar mehr Notizen zum Thema.

  2. „Kriterien helfen dabei, keine Fehler zu machen und vielleicht sogar, alles ganz gut zu machen. Aber eine Fixierung auf Kriterien verengt den Blick in das All und verblendet den Ausblick auf das Neue Große.“

    Dem würde ich schon zustimmen, nur leider wollen Chefs ins All und der Mitarbeiter ist gelegentlich schuld, wenn das nicht klappt. Zum Schutz vor Überforderung erschuf der Mitarbeiter für seinen Chef Kriterien um gezielt zu fliegen, nur wehe der Mitarbeiter fliegt selbst zuerst dahin, ohne Prozesse…

    Eher schickt der Chef (oftmals) solange heimlich Mitarbeiter los bis einer auch lebend zurückkommt, dann fliegt der Chef hoch-offiziell und lautstark als erster. Der Mitarbeiter der zurück kam bekommt einen Award.

    Genies sind eher unbezahlbar (das erhöht den Schaffensdruck, bzw. die -kraft, denn es geht um die eigene Existenz), bzw. unlenkbar. Aber wenn man sich ein bisschen Genie erhält/erarbeitet und ein bisschen Kriterien erfüllen kann, dann zerreißt es einen nicht innerlich so. So ist die arbeitsteilige moderne Gesellschaft/Wirtschaft heute organisiert, eigentlich ein wirklicher Gewinn. Anscheindend aber auf Kosten der Natur und Menschengruppen ohne Chancengleichheit.

    Beugt man sich nicht dem Arbeitsteiligen, so wird es einseitig schmerzhaft (der Song floppt und der Kühlschrank bleibt leer oder dem Chef ist man nicht innovativ genug und der Mitarbeiter wird nicht geschätzt) oder auch mal glückseelig (der Song geht steil und der Ruhm kommt mit Rubeln oder der Chef ernennt den Angestellten zum Process Owner und kann die Reparatur fehlerhafter Arbeitsketten schön delegieren und danach Innovation zu deligieren). Wir sind eben nicht alle gleich und (situativ) in jeweils anderen Rollen unterwegs, und für das Lösen von Zielkonflikten ist „nur und eindeutig der Projektmanager“ zuständig, ja-ja, von wegen… da das „Problem“(Ziel) bzw. dessen „Lösung“ (Ergebnis) ja genau dem Projekt zugeschrieben ist, bleibt immer noch der Konflikt zwischen dem Projekt und dessen Umfeld (wenn das Ziel unerreichbar scheint oder das Ergebnis nicht zufriedenstellt).

    Da sagt so mancher Projektmanager auch mal: Nein Danke… (wenn er es sich überhaupt leisten kann).
    Bei Projekten arbeiten mehrere Menschen zusammen, da reicht ein Genie meist nicht.

    Kein Projektmanager wird „die“ Stelle bekommen, wenn er nicht schon am Anfang sagt: „Das schaffen wir“ (ohne das überhaupt wirklich wissen zu können, aus reiner Zuversicht). So entsteht dann u.a. auch der Berliner Flughafen (oder eben auch noch nicht, nach der x-ten Neubesetzung der Stelle).

    Beide Typen (Genie und Kriterienerfüller) sollen sich vertragen – auch mit dem Chef – und auch mal Rollen tauschen dürfen oder müssen, dann kommt meist über die Zeit was Gutes und Nachhaltiges dabei raus. Oder wir hoffen einfach alle auf unser Genie bzw. Blockwart in der Nachbarschaft…nee, ne. Lieber selbst etwas sein… irgendwo dazwischen.

  3. Manchmal bedeutet – Kriterien zu erfüllen – es in der Schublade zu lassen und gesetzlich schützen so dass es andere auch nicht nachbauen können.
    Weil man Angst hat das es sich vielleicht doch um Kunst handeln könnte.
    Lg
    Mario

  4. Ich denke, dass Innovation – oder vielleicht besser: neue Ideen) nicht durch Kriterienkataloge behindert wird. Es sind die persönlichen Umstände und es ist die Motivation von Leuten. Von der Idee zur Umsetzung kommen noch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hinzu. Die Menschen mit neuen Ideen werden allzu häufig von den Profiteuren der bestehenden Situation eingehegt, zensiert und entmutigt.

    Man kann das schön im Zusammenhang mit dem Klimaschutz beobachten. Hier wird in Deutschland bereits seit Jahren jede Idee, CO2 anders als durch Sonnen- und Windenergie einzusparen verbissen bekämpft. Selbst Ideen, sauber zu berechnen, wie sich die Versorgungssicherheit entwickeln wird, werden abgewürgt. Letzteres habe ich selbst erlebt: Ein Studentin an einem recht renoviertem Lehrstuhl für Angewandte Mathematik konnte einen Vorschlag, als Dissertation mit Hilfe von Methoden des OR (Mathematische Optimierungsrechnung) die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts zu ermitteln nicht platzieren. Argument: Dann verlieren wir Drittmittelprojekte.

    Über die Wirkung von Standards würde man besser im Zusammenhang mit Verantwortung für das eigenen Handeln sprechen.

  5. Einmal mehr: brilliant erkannt und zusammengefasst (Ich glaube, das lasse ich jetzt mal … zu repetitiv)
    Ein gesunder Grad an Erbsenzählerei / Kleinkariertheit / Bürokratie ist eine unbestreitbare Voraussetzung für das Gelingen eines unternehmerischen Projekts.
    Ein guter UND erfolgreicher Gründer muss eine Balance zwischen dem notwendigen Maß an Korinthenkackerei und kreativem Freigeist schaffen.

  6. Ja, so ist das. Doch wo liegen die Ursachen?
    Weiter-)entwicklung ist – wie das Wort schon ausdrückt – ein stetiger, auf Bestehendem aufbauender Prozess. Und dafür drängen sich Kriterienkataloge als Managementmethode geradezu auf, denn Irrtümer wären hochgradig kontraproduktiv.
    Innovationen sind hingegen unstetige Veränderungen, die Genie und den Mut zum Scheitern bedingen und sich grundsätzlich nicht in Prozesse einzwängen lassen.
    Unsere Gesellschaft braucht beides, aber beides denken können wohl die wenigsten Manager und Politiker. Und deshalb werden erfolgreiche Prozessmanager oft von der Realität eingeholt und abgehängt und viele Genies scheitern, wenn ihre Idee zum Tagesgeschäft wird.
    Es soll tatsächlich auch Leute geben, die beides können. Die machen in Kapitalgesellschaften in der Regel jedoch keine Karriere, dafür sorgen zuverlässig die Ökonomikaner (Zu dem Begriff haben mich die Dominikaner inspiriert: Die begreifen sich bekanntermaßen als „Hunde des Herrn“, entsprechend sehe ich in den Controllern die „Hunde der Wirtschaftsweisen“.). Da sind doch Hauptstadtflughafendesaster, Segelschulschiffrestaurierungskosten und gigantische Firmenpleiten nichts als die natürlichen und logischen Folgen der Unvollkommenheit der menschlichen Species. Vielleicht hätte die Wissenschaft bei der Benennung dieser Gattung den Zusatz „Sapiens“ doch besser einfach weglassen sollen.

  7. ich gebe es zu – oder Neudeutsch „oute mich“ – ich bin nach der Definition ein Kriterienkacker…

    Doch woran liegt das? DIe Welt ist kompliziert und ich arbeite in einem Unternehmen, in dem neue Dinge sich nur ganz schwer etablieren lassen. Erste „agile“ Ansätze sind leider gescheitert, weil sie aktuell nicht in die Denke der „wir brauchen ein umfangreiches Lastenheft“ und „das ist mir alles zu unbestimmt und zu offen“-Management-Strukturen reingepasst haben…..

    Ich bin begeistert von agilen Methoden, finde alles Kreative, Neue mehr als spannend… In meiner Rolle muss ich aber auch dafür sorgen, dass die Ideen dann in die Struktur rein passen. Und da helfen unserem Management die Abhaklisten und Prüfroutinen….

    Ich glaube, wir brauchen ganz viele engagierte Kriterienkacker, die dafür sorgen, dass die Kreativen mutig voran schreiten können – ohne dass ihnen vom Management gesagt wird „Ihr erfüllt unsere Standards nicht“.

    Dann kann’s auch in tradierten Unternehmen was mit der Entwicklung werden.

  8. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen werden die Checklisten noch fördern. Gerade viele juristische Prüfungen, Abläufe bei Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Prüfern des Finanzamtes arbeiten nach vielen dieser Ansätze. Und alles was so nach Checkliste läuft, lässt sich schon mal einfach digitaliseren. Wo es noch Hürden gibt, ist an der ersten Stufe, wo man sich dann fragt, ist der Vorgang in der Scheidung noch Familienrecht, Einkommenssteuerrecht, etc. Manchmal dienen Checklisten auch in der Hektik oder aus Gewohnheit nix zu vergessen. Nicht umsonst steht ganz oben auf der Before Landing Checklist (Gear . . . DOWN / x GREEN). Ich befürchte viele würden sonst vergessen mal die Räder auszufahren 😉 Leider haben wir nur in der Mutter als Checklisten vergessen, die Wiederholung einzubauen um dann auch regelmäßig über die Punkte in einer Checkliste zu diskutieren. Bei Brandvorschriften tue ich mich schwer, bei den vielen anderen 50000 und mehr Punkten für die Errichtung von Wohnhäusern gibt es jedoch bestimmt vieles was weg kann. So nun widme ich mich wieder meiner Lieblingschecklisten aus der ISO 27000 Reihe zu. Und die Checkliste hat wirklich Nachteile, es lang nicht nur anzukreuzen Ja, Nein, nicht notwendig. Sonst es muss noch begründet werden. Wer diese Checkliste designt hatte, dem fehlte die Checkliste für die Gestaltung einer ordentlichen Checkliste……

  9. Oh je, das Dilemma sollte offen benannt werden. Unsere Umgebung ist VUKA und deshalb sollten Organisationen immer gemischte Teams mit „Erbsenzählern“ , „Phantasten“ und anderen Polen zusammen stellen, damit nicht Pole ein systembedingtes Ungleichgewicht bilden können. Über die Betonung jeweils eines Pols jedoch zu versch. Phasen einer Sache, sollte das Team immer wieder neu entscheiden können und dabei volles Vertrauen des Auftraggebers/der Geschäftsleitung haben. Wenn sich beide Pole da auch mal zurücknehmen, umso besser. Manches kann parallel laufen, so dass es zwischendurch gefühlt für alle nur in einer „Welt“ zur Sache geht. Dazwischen ein paar Kümmerer/Beförderer/Übersetzer und ganz viel VERTRAUEN. Das zu schaffen, ist wichtige Führungsaufgabe.

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