DD348: Einsicht ist gut, Regeln sind besser

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Der Zug aus Köln fährt in Mannheim ein. Einsteigen. Es geht pünktlich los. Sensation! Zehn Minuten später wird durchgesagt, dass die Toilettenspülung ausgefallen ist und der ICE daher seine Fahrt in Karlsruhe beenden muss. „Sie haben folgende Verbindungen …“ Das ist doch nicht vernünftig? Aber wohl Vorschrift. Die Bahnkunden, die mal müssen, haben nun den Druck auf dem Bahnsteig, nicht im Zug. Das ist erlaubt. Ich fragte noch zum Abreagieren von Aggression, ob wir nicht einfacher alle aussteigen lassen, die mal müssen, und dann weiterfahren? Böser Blick.

Oder: Das Frühstück steht auf dem Tisch. Ich bin krank, ich nehme eine Aspirin. Sofort kommt Tadel: „Das nimmt man nach der Mahlzeit.“ – „Wieso?“ – „Alle wissen das, nur du nicht.“ – „Hör mal, Acetylsalicylsäure und Ascorbinsäure sollen nicht allein im Magen sein, weil es Säuren sind. Das ist der Grund für diese Regel. Wenn ich jetzt aber ein paar Sekunden später etwas esse, löst sich die Tablette nicht allein im Magen auf. Alles gut.“ – „Woher willst du denn das wissen mit der Säure?“ – „Weiß ich. Ist doch aber klar.“ – „Nein, die Regel ist …“ – „Die Regel wird für Leute gebraucht, die sich nicht auskennen.“

Oder: Das Flugzeug darf nicht starten, weil ein Crew-Klappsitz (für Start und Landung) nicht runterklappt. Reparaturversuche scheitern. Ich schlage vor, dass sich die Flugbegleiterin neben einen Passagier setzt. Das ist streng verboten!! Aha? Einer mit vielen Streifen auf dem Jackett entscheidet, ohne die Flugbegleiterin zu fliegen. Da aber für je 60 Passagiere immer ein Flugbegleiter dabei sein muss, müssen nun 60 Passagiere aussteigen. Sie wissen aber nicht, nach welchem Verfahren sie das entscheiden. Sie holen sich Rat von einem was weiß ich Lufthansavorstand. Alle müssen aussteigen, wieder einchecken. Ich durfte mit, das wusste ich, denn ich hatte einen Koffer aufgegeben. Sie werden doch nicht so dumm gewesen sein, die Koffer neu zu sortieren? So sicher war ich nicht, ich zitterte etwas. Irgendwann flogen wir.

Oder: In eine Super-Mega-*****-Klinik kommen die Hoffnungslosen, die alle normalen Therapien erfolglos hinter sich haben. Ein Super-Star-Arzt findet dort endlich das Problem, stellt die richtige Diagnose und gibt sie in den Computer ein. Der sagt: „Patienten mit diesen Daten haben normalerweise xy. Wollen Sie das überschreiben?“ – „Ja.“ – „Wirklich?“ – „Ja.“ – „Dann schreiben Sie mir ein Gutachten dazu, warum Sie abweichen.“ In diese Klinik kommen diejenigen, an den alles ausprobiert wurde. Nun bekommen sie fast immer eine Diagnose, die der Computer nicht akzeptiert. Also schreiben die raren *****-Ärzte hauptsächlich Aufsätze.

Quelle: Pixabay

Das Einengen unserer Entscheidungsmöglichkeiten durch eiserne Vorschriften führt zu Entmenschlichung unserer Arbeit und bereitet deren Automatisierung vor. Wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt, braucht’s keinen Menschen für Anspruchsvolles mehr. Einsicht schadet dann, weil sie gegen optimierte Prozesse ohnmächtig ist. Gediegenes Wissen macht wütend. Man muss die Regeln einhalten und darf nie abweichen. So managt man eben alle Leute, ohne voraussetzen zu müssen, dass sie auch nur einen Funken Bildung mitbringen.

Der große Philosoph Georg Christoph Lichtenberg „zitierte“:

Der Pfarrer sagt: „Du sollst nicht stehlen wollen.“

Der Schlosser sagt: „Du sollst nicht stehlen können.“

Einsicht/Ethik wird durch Zwang ersetzt. Die heutige Bürokratie geht noch weiter. Für den Fall, dass die Schlösser nicht reichen, muss vorgesorgt werden.

Der Bürokrat sagt: „Du musst stets dokumentiert haben, dass du nicht stehlen konntest.“

Ich erinnere an mein visionäres Buch „Lean Brain Management.“ Dringend noch einmal ans Herz gelegt!

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22 Antworten

  1. „Die Regel wird für Leute gebraucht, die sich nicht auskennen.“
    Oder für Leute, die Angst haben etwas falsch zu machen.
    Für alle anderen ist es ein Korsett, das den meisten zu eng ist.

  2. Compliance über alles 😉 denn sonst wird man angreifbar. Erinnert mich auch etwas an ihren Abschied vom homo oeconomicus und dem Versuch der Rationalisierung/Digitalisierung wo das mathem. Model einfach nicht passt, unausgereift ist oder schlicht die Methode nicht verstanden wurde. Aber KI oder die fuzzy logic wird uns sicher retten. 🙂
    LG

  3. Das eine sind Regeln, das andere die Weisheit wann die Regeln auch mal gebogen oder gar gebrochen werden können. Ich denke besonders Deutschland ist gut im Aufstellen neuer Regeln für alle Entscheidungen im öffentlichen Bereich, damit ja alle gleich behandelt werden und keine Willkür herrscht. Es soll ja schließlich gerecht zugehen in unserem Land! Das führt dann im Laufe der Jahrzehnte zu dicken Wälzern mit Regelwerken und man braucht ein jahrelanges Studium / Ausbildung um sich halbwegs in diesen Wälzern auszukennen. Der normale Mensch versteht schon lange nicht mehr was er darf und was nicht und wie er es nach den Regeln machen kann/darf/soll . Ziel erreicht – jetzt sind alle gleich dumm und das ist ja dann gerecht.
    Bauen ist so ein Beispiel… das Baurecht verstehen selbst studierte Architekten nicht mehr und selbst wenn, dauerte es Jahre um durch alle Behörden durchzukommen. Was ich beim Bau eines Flughafens vielleicht noch verstehen kann – aber ein simples Ein- oder Mehrfamilienhaus das bereits millionenfach ähnlich gebaut wurde?

    So werden wir alle trainiert nicht mehr den eigenen Verstand zu benutzen, sondern die Regeln zu lesen und zu befolgen (oder jemanden dafür zu bezahlen das er die Regeln liest und mir dann die wirklich relevanten erklärt) Das ist gut so, oder .. es kostet Zeit und schafft Arbeitsplätze 🙂

  4. Tao:

    Englisch:
    ————-
    Therefore, when the Way is lost there is virtue.
    When virtue is lost there is benevolence.
    When benevolence is lost there is righteousness.
    When righteousness is lost there are rituals.
    Rituals are the end of fidelity and honesty,
    And the beginning of confusion.

    Deutsch:
    ————
    Darum: Ist der Sinn verloren, dann das Leben.
    Ist das Leben verloren, dann die Liebe.
    Ist die Liebe verloren, dann die Gerechtigkeit.
    Ist die Gerechtigkeit verloren, dann die Sitte.
    Die Sitte ist Treu und Glaubens Dürftigkeit
    und der Verwirrung Anfang.

    1. Wenn also der Weg verloren geht, gibt es Tugend.
      Wenn Tugend verlorgen geht, dann ist Wohlwollen da.
      Wenn das Wohlwollen verloren geht, gibt es Rechtschaffenheit.
      Wenn Rechtschaffenheit verloren geht, gibt es Rituale.
      Rituale sind das Ende der Treue und Ehrlichkeit,
      und der Beginn der Verwirrung.

  5. Wenn also der Weg verloren geht, gibt es Tugend.
    Wenn Tugend verlorgen geht, dann ist Wohlwollen da.
    Wenn das Wohlwollen verloren geht, gibt es Rechtschaffenheit.
    Wenn Rechtschaffenheit verloren geht, gibt es Rituale.
    Rituale sind das Ende der Treue und Ehrlichkeit,
    und der Beginn der Verwirrung.

    1. Mir fällt da immer die Menschen und Fahrzeug leere, beampelte Kreuzung auf freiem Feld nachts um 2.00 Uhr ein: man könnte ja einfach bei Rot fahren es ist ja offensichtlich niemand da, trotzdem fahre ich nicht … Warum wohl

  6. Lieber Herr Dueck,
    Sie haben ja so recht.

    Nur auf Roboter werden wir, was die Schematisierung unseres Lebens angeht nicht warten müssen. Da haben Millionen von Softwareentwicklern seit Jahrzehnten schon ganze Arbeit geleistet. Und, Ja, auch die Meister müssen die Regeln einhalten. Sie haben einfach keine Macht dazu.

    Die „Regelung“ des Leben ist übrigens statistisch schön nachweisbar: Allein in Deutschland wurden seit 1949 weit mehr als 100.000 Paragraphen neue Gesetze gemacht. Mit einer exponentiell zunehmenden Rate. Haben Sie von unseren jugendlichen MinisterInnen Entwürfe gehört, wie unsere Gesellschaft in 50 Jahren funktionieren soll? Eher nicht. Aber sie bringen jede Menge von Gesetzentwürfen. Mit filigranen Regeln.

    Ich denke, die Ursache ist unser Wohlfahrtstaat. Er kommt in seiner Weiterentwicklung zwangsläufig an einen Punkt, wo den Menschen immer mehr Verantwortung abgenommen wird, die sie ohne Probleme selbst tragen könnten. Und dabei geht auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, verloren. Und um nichts anderes geht es hier.

  7. Es gibt Regeln, die haben einen Sinn.Z.B. die mit ein Flugbegleiter pro x Passagiere. Auch der spezielle Sitzplatz ergibt Sinn: Passagiere im Blick, besser gesichert mit Schultergurt. Nicht jede Regel ist unsinnig.

      1. Die Kette ist doch: Problem -> Regel -> Regel einhalten -> Lösung.
        Für das angenomme Modell stimmt auch die Lösung. Ändert sich aber das Modell (Problem mit anderem Kontext) stimmt die Kette nicht mehr.
        Nur wie erkennt man die Kontextänderung wenn die Modellannahme nicht bekannt ist?
        Genau da kommt die Unsicherheit her. (Vielleicht gibt es ja einen sinnvollen Grund warum die Flugbegleiter nie auf normalen Sitzen sitzen sollen fragt sich der Gestreifte)
        Manchmal wäre es sinnvoll zu Regeln auch Begründungen hinterlegt zu haben, um das dann besser entscheiden zu können. Macht es aber leider wieder complexer.

      2. Leider ja. Was rauskommt, wenn man Regeln zur Sicherheit lax interpretiert, sieht man bei der 737-MAX: Das MCAS ist ja nicht wichtig, das können wir vor den Piloten und der FAA geheim halten bzw. geschönt kommunizieren.

        Man hätte bei der Umsetzung des Aussteigens kreativer sein können:
        * Freiwillige suchen (Prämie anbieten)
        * Personen ohne aufgegebenes Gepäck suchen

        Die meisten Regeln in der Luftfahrt sind mit Blut vergangener Unfälle geschrieben.

  8. Da fällt mir immer wieder die menschen- und Fahrzeug leere beampelte Kreuzung auf freiem Feld nachts um 02.00 Uhr ein: Man steht vor der roten Ampel, man könnte auch fahren, es ist ja offensichtlich niemand da und trotzdem macht man es nicht (als Fussgänger schon eher) … warum nur? Weil selbst wenn jeder vernünftig denkende in diesem Fall das auch so sehen würde, gibt es die Argumente, die man immer hört: wo kämen wir den hin …, schlechtes Vorbild …, wer will da denn entscheiden usw.

  9. Ja ja das Baurecht. Wir haben einen neuen Bebauungsplan der eine sehr gute Begründung (Wohngebiet in seinem Wesen erhalten) auf 2 Seiten hat. Dann folgen Regeln die an sich sinnvoll sind. Und dann kommt ein Wunsch der das Wesen der Siedlung erhält. Widerspricht aber genau einer abgeleiteten Regel. Abgelehnt! Die vorgeschlagene legale Alternative widerspricht selbstverständlich nicht den Regeln. Ändert aber das Wesen der Siedlung deutlich, was ja genau dem ursprünglichen Ziel widerspricht
    Und das sehe ich viel: Regeln sind aus Gründen entstanden. Aber das Vergessen oder Nichtbeachten der Gründe ist fatal.

  10. Regulierung ist oft gut, Überregulierung ist meist schlecht. Das Schlechte im Guten. Gut gemeint aber schlecht gemacht. Warum ist die Ampel nachts um Zwei im Nirgendwo überhaupt eingeschaltet?
    Regeln müssen einfach sein, sonst versteht sie ja der (Idi..) nicht, für den sie gemacht wurden! Alle Anderen leiden darunter.
    Viele müssen immer geholfen bekommen. Das geht mit Regeln und Ritualen recht gut. Betriebsanleitungen sind da ganz hervorragende Beispiele. Die USA ist da ein Vorreiter (Rasenmäher, Plastiktüten …)
    Anne Bernays; Schriftstellerin, hat das mal treffend zusammengefasst:
    Hilft dir immer jemand, wirst du hilflos.

  11. Wenn ich mit meinen Studenten arbeite, möchte ich Ihnen auch so wenig Regeln wie möglich „aufdrücken“. Das liegt vielleicht daran, dass ich selbst so wenige Regeln befolge und lieber nach dem Sinn der Regel handle.
    Gerne würde ich den Studenten die Freiheit lassen, nur den Sinn/ Bedeutung der Regeln zu beachten. Das setzt aber voraus, dass mein Gegenüber ebenso versucht den Sinn zu erfassen. Das ist leider nicht immer gegeben. Es ist schwer, die Studenten so zu motivieren, dass sie sich für das Thema begeistern. Das liegt nicht einmal daran, dass sie es nicht wollen. Meiner Meinung nach fehlt oft die Zeit, den Sinn zu erfassen. Ein Freund sagte einst: Die drei Schritte des lernen sind: Wiederholen, Anwenden, Verstehen.
    Und hier kommt man schon zum zweiten Punkt: Regeln sind durchaus sinnvoll. Gerade, wenn man etwas nicht vollends verstanden hat. Zu häufig stand ich im Labor und verstand nicht, warum ein Versuch nicht geklappt hat. „Ich habe doch alles richtig gemacht?“ Ich dachte, ich hätte alles verstanden, doch habe ich ein Detail übersehen. Eine Regel ist eben auch ein Weg, wie etwas funktioniert. Weiche ich von der Regel ab, muss ich entscheiden, ob ich alles verstanden habe und es wage einen anderen Weg zu gehen.
    Es ist also immer auch eine Frage der Selbsteinschätzung von einer Regel abzuweichen.
    Insgesamt stimme ich aber schon zu: Der Blick nach links und rechts fehlt häufig. Die Frage nach dem Warum.

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