DD365: Psychologie der Corona-Akzeptanz (Juli 2020)

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Elisabeth Kübler-Ross (geb. 1926 in Zürich, gest. 2004 in Scottsdale, Arizona) war eine der Begründerinnen der modernen Sterbeforschung. Wer mag, schaue sich ihren Lebensweg in der Wikipedia an; aus der Psychiaterin wurde eine Geistheilerin… Ihrer Forschung in der Sterbebegleitung verdanken wir die Kübler-Ross-Akzeptanz-Kurve. Sie beschreibt fünf verschiedene Phasen der seelischen Verfassung im Sterbeprozess.

Ich habe diese Kurve das erste Mal etwa 1997/98 gesehen. Es ging um die Akzeptanzphasen im IBM Management, das damals nur unwillig von der Dominanz des Hardware-Business ablassen wollte. Man baute den IBM Service in größtem Maßstab auf. „Was soll das? Service ist nicht unser Niveau!“ Diese Leugnung der Zukunft wurde uns mit der Kübler-Ross-Kurve erklärt, aber sie verrieten uns nicht, woher die Kurve stammte. Das verstehe ich ja. Im originalen Kontext geht es um Sterbehilfe, das wäre für Wissenschaftler hoch interessant gewesen, aber auf Vice-President-Level ist es zu wenig optimistisch.

Quelle (Hintergrund):

https://stock.adobe.com/de/images/blank-blackboard-with-colored-chalks/52181510?prev_url=detail

Elisabeth Kübler-Ross beschrieb fünf Phasen:

  • Leugnung / Denial / Zurückweisung: Der Kranke/Dieselhersteller/Dorfsparkassenleiter bekommt eine sehr harte Diagnose. Er reagiert mit heftiger Zurückweisung und zweifelt die Diagnose, die Wirklichkeit oder den Röntgenbefund an. Er holt Zweitmeinungen ohne Ende ein. Die eigene Überzeugung ist knallhart: „Panikmache!“
  • Zorn / Anger: Die Diagnose löst eine wütende Frage aus: „Warum ich? Wieso bin ich krank und die anderen sind gesund? Warum muss ich im Home-Office bleiben, warum kürzen sie mir das Gehalt? Wieso trifft es nicht die untätigen Rentner oder Beamte? Warum verbieten sie mir den Urlaub? Warum ist Tesla mehr wert als VW? Warum ist Nikola so viel wert wie Ford?“
  • Verhandeln / Bargaining: „Reicht es nicht aus, wenn wir normal vorsichtig sind, uns nicht gegenseitig anzustecken? Das machen wir bei Grippe auch. Können wir nicht nebenbei auch ein paar Batterien bauen – die meisten wollen doch immer noch Diesel. Lasst doch mal die Kirche im Dorf, das Problem kann man einfacher lösen. Man muss nicht das ganze Arsenal hochfahren. Wie lässt sich alles so lösen, dass wir noch milde davonkommen? Lasst uns über Lockerungen reden!“
  • Depression: „Es ist passiert. Corona. Keine Kundenaufträge. Ich bin als Freiberufler am Ende. Meine Ersparnisse schwinden.“ Man fühlt sich wie nach einem Tsunami: Das Haus ist weg.
  • Akzeptanz: Die Welt hat sich verändert. Es ist, wie es ist. Ich muss anders weiterleben. IBM Services könnte funktionieren – muss sogar.

In diesen Tagen machen wir uns alle Gedanken über den Umgang mit Corona. Wir sind aber mental in verschiedenen Phasen. Viele sind noch in der Leugnungsphase, manche schon bei „es ist, wie es ist, lasst uns das Beste daraus machen“. Viele verharren in der Neiddiskussion. „Warum macht Amazon so gutes Geschäft und warum werden alle Termine für Gunter Dueck abgesagt – wie ungerecht!“ Na, ich habe mir eine Super-Web-Cam, ein Studio-Mic und eine grüne Wand gekauft, und ich übe jetzt für einen neuen Beruf mit niedrigerem Einkommen. Es ist, wie es ist. Hier stehe ich – ich kann nichts anderes.

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26 Antworten

  1. vielen Dank Herr Dueck (kommt das ue eigentlich auch aus dem amerikanischen? )
    Interessant und spannend finde ich, was danach kommt. Also nach der Akzeptanz. Wie geht es weiter? Was kommt am Ende der Tafel.
    Startet hier jeder seien individuelle Kurve oder geht sie als gerade weiter?

    Ach, ich mache mir meine Kurve einfach selbst und entscheide mich für eine leicht ansteigende Gerade. Macht jemand mit?

    1. Ich bin dabei, aber für eine leicht absteigende Gerade – generell…das ist einfacher zu laufen und wenn man es mal verstanden hat: Et kütt wie et kütt…denn am Ende wird alles gut…und wenn es noch nicht gut ist, sind wir halt noch nicht am Ende ;-). Also Kopf hoch und entspannt die Gerade laufen.

  2. Hallo Herr Dueck,

    die ersten 3 Paragraphen im kölschen Grundgesetz heißen:
    Et es wie et es (Es ist wie es ist)
    Es kütt, wie et kütt (Es kommt wie es kommt)
    Et hät noch immer jot jejange (Es ist noch immer gut gegangen)

    Ich habe die Erfahrung in vielen Unternehmen gemacht, dass man viel zu lange und widerspenstig in den ersten Phasen verharrt oder nur in Teilen nachgibt. Ich würde mir für deutsche Unternehmen und Behörden etwas mehr Leichtigkeit beim Abschneiden alter Zöpfe, wie im kölschen Grundgesetz, wünschen. Es fehlt leider häufig die Offenheit sich mit Neuem zu beschäftigen. Oft sind es nur Lippenbekenntnisse der Führungskräfte, aber die Umsetzung ist nur halbherzig und muss gegen starke Widerstände kämpfen. Wir wären bestimmt noch erfolgreicher, wenn wir mehr Agilität zulassen und uns mehr auf die Zukunft anstatt auf die Vergangenheit konzentrieren würden.

    Viele Grüße
    Joachim Lindner

  3. Sehr geehrter Herr Dueck,

    ich schätze Ihren Newsletter und Ihr Angebot, Ihre Gedanken mit Ihren Lesern zu teilen. Dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken.
    Bei diesem Thema allerdings frage ich mich: Was genau meinen Sie , wenn Sie von „Corona-Akzeptanz“ sprechen und dazu die Sterbekurve heranziehen? Dass möglichst alle Menschen die politischen Maßnahmen, die aktuell getroffen werden, akzeptieren? Dass eine Diskussion über Faktenlage und Angemessenheit von Entscheidungen nur ein Resultat eines noch nicht vollendeten psychischen individuellen Prozesses ist? Dass es nur eine Frage der Zeit ist, wenn aus „Verleugnern“ „Pessimisten“ (und dann „Geläuterte“) werden?

    Ich kenne diese Kurve als Erklärungsmuster von „widerständigen“ Reaktionen „der Anderen“ in organisationalen Change-Prozessen. Ich sehe einen gewissen heuristischen Nutzen darin (immerhin lenkt diese Kurve den Blick auf emotional-dynamische Prozesse). Allerdings gibt es m.E. auch gravierende Nachteile: So legt dieses Modell nahe, dass
    a) JEDER diese Kurve auf JEDE Veränderung KOMPLETT durchläuft (als ein quasi-Naturgesetz) und
    b) dass jede Form von „Widerständigkeit“ daraus resultiert, dass der/diejenige halt noch in der frühen Phase ist. Eine sach- und faktenbezogene Diskussion um Ziele und Wege einer Veränderung wird zugunsten einer individualisiert-internalen Haltungsfrage erschwert bzw. gar nicht mehr möglich. (Damit geraten Fragen wie „Wurden die Ziele der Veränderung klar kommuniziert“? „Ist allen klar, wozu das dienen soll und was genau jetzt sich ändern soll?“ „Ist die geplante Vorgehensweise angemessen und zielführend?“ tendenziell aus dem Blick).

    Ich halte dieses Modell daher für wenig hilfreich, um die aktuelle Situation angemessen zu erklären, verhärtete Haltungen zu öffnen und Lösungsmöglichkeiten zu generieren.
    Hilfreich wäre aus meiner Sicht
    a) Die Angst reduzieren – die öffentlice Debatten versachlichen!
    b) Mehr Sorgfalt in der Wahl der Sprache walten zu lassen (weniger moralische Bewertungen, Zuschreibungen und „Alarm-Nachrichten“ – vermehrt genauere und neutralere Formulierungen wählen, statt von „emporschnellenden Infektionszahlen“ sagen „(In den USA wurden die Testkapazitäten um x% auf y erhöht. Daraus ergaben sich z positive Testergebnisse.) Das Verhältnis von positiven Testergebnissen zur Gesamtzahl der Getesteten ist damit niedriger/gleich/höher als bisher.“ Oder man kann statt von oder „Leugnern“ und „Schlafschafen“ von Menschen sprechen, die kritische Fragen haben und Menschen, für die es Sicherheit gibt, sich an politische Vorgaben zu halten. („Leugner“ hat in diesem Kontext übrigens eine ganz unfeine assoziative Wirkung!).
    c) Raum für konstruktive Diskussionen zu öffnen (die Menschen selbst fragen, unterschiedliche Positionen ohne Diskreditierung zu Wort kommen zu lassen, einen guten Dialog zwischen Politikern und Bürgern führen)
    d) Den Blick weiten: Nicht nur die von Ihnen genannten „Reaktionsgruppen“ in den Blick nehmen, sondern möglichst viele Akteure auf dieser Bühne sehen und Entwicklungen (egal ob intentional oder zufällig) und Muster identifizieren (die Frage „cui bono“ ist nach wie vor erlaubt, oder? vlg. Arte-Doku „Profiteure der Angst“).
    e) Angst reduzieren!

    In diesem Sinne!

    1. Diese Kolumne ist eine von fünf anderen…und ein kurze Kolumne kann nicht ein Buch ersetzen. „Angst reduzieren!“??? Ich schreibe selbst hier gefühlt gegen Leichtsinn und Sorglosigkeit an (Phase 1). Die Leute, die sich um Maskenaufsetzen drücken, könnten doch einmal die Zahlen von Florida anschauen. Dort schaut man offenbar seit Februar zu (drei Monate lang?), wie sie in NY sterben – und jetzt wundern sie sich?? Wollen wir das hier auch? In Florida ist es „Leugnen“, oder? Wir wissen alle, dass sich Krankheiten im Kalten ausbreiten – diese sogar in Florida JETZT. Es werden doch einfach Fakten ignoriert. Irgendwo muss Diskussion einmal aufhören.

  4. Hallo und vielen Dank! Ich frage mich schon länger, wie es kommt, dass nicht jeder diese Kurve durchläuft sondern in Phase 1, 2 oder 3 „hängenbleibt“. Was sagen die Gesellschaftspsyochologen und Soziologen dazu?

    1. Das ist die große Frage, die sich vielleicht die ganze Welt stellt… Antwort ungewiss bzw. eher „nein“?! Bis dato war sein Verhalten immer stecken geblieben egal bei welchem Thema

  5. Sehr guter Blog. Genau, es sind nicht alle gleich weit. Das ist ok, das gibt ja auch wertvolle Diskussionen. Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass wir nicht alle gleich weit sind.

  6. echt altersweise! Er überlegt sich sehr genau, wo er seine knappe Energie verbraucht. Fruchtlose Konflikte mit anderen und sich selber – ach nee, brauch ich nicht. Ein glas Rotwein auf der Terrasse in der Sonne und die Welt ist in Ordnung…

  7. Mit 69 zu sagen „…ich übe jetzt für einen neuen Beruf mit niedrigerem Einkommen.“ ist schon hochgradig souverän. Viele, die heute am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen, glauben immer noch, dass sie genauso die nächsten Jahrzehnte bis zur Rente weitermachen können.

    1. Mein Opa ist mit 69 geflüchtet und hat einen Hof gepachtet, den er später an meinen einheiratenden Vater übergab; er verwitwete und heiratete noch einmal mit 84 eine Frau, die er überlebte…

  8. Hallo Herr Dueck,

    die Phasen sind bekannt, nur nicht ganz passend, finde ich. Es ist ja nichts völlig unveränderbares passiert

    Was ist also im Detail zu akzeptieren, außer das es ein weiteres, ja neues Virus gibt und die Reaktionen der Menschen darauf sehr unterschiedlich sind?

    Wir sind Teil der Gesellschaft, daher können wir gestalten/lernen/verbessern/…
    die Mächtigen mehr, die kleinen weniger.

    Oder?

    Liebe Grüße

  9. Jede(r) muß eben für sich entscheiden, wie er/sie seine/ihre
    unwiederbringliche Lebenszeit
    verbringen möchte.
    Es ist der Realität egal, ob man ihr vorwirft, sie sich anders vorgestellt zu haben.

  10. Ein jeder Selbständige muss sich überlegen, ob sein Angebot in Krisenzeiten immer noch relevant ist und wahrgenommen wird. Falls nicht, müsste er einen Risikoaufschlag für Krisenausfälle einkalkulieren, was den Konferenzsprecher deutlich teurer macht als z.B. den Klempner.

    Aber so funktionieren Märkte ja nicht: In Krisenzeiten sind Klempner gefühlt Mangelware, weil sich einige Hamsterkäufer neben Klopapier auch die ganzen Klempner der Umgebung „auf Vorrat“ gesichert haben. Jedenfalls ziehen die Stundenlöhne für Dienstleistungen am Haus ganz schön an.

    Einziger Ausweg, lieber Herr Dueck: Auf Klempner umschulen. Oder den Ruhestand vor grüner Wand genießen.

  11. Diese Kurve läßt sich sich auf so vieles anwenden und sie stimmt.
    Man muss lernen und die Zeit zwischen „Panikmache“ und „Wehklagen“ so kurz wie möglich halten.

  12. Es ist schwierig, frühzeitig aus dem Rauschen das Signal zu filtern. Es gibt Anekdoten, in denen Patienten, die von allen Ärzten abgeschrieben wurden, wieder gesundeten. Es gibt Unternehmen, die schon als so gut wie pleite galten, und dann die Umkehr schafften.
    Für die große Mehrheit gilt das sicher nicht. Aber wer will den Menschen verdenken, wenn sie sich anfangs an die Hoffnung klammern, später zu den Anekdoten zu gehören?
    Lotto funktioniert genau deswegen.

  13. Hallo Herr Dueck,

    vielen Dank für diesen Artikel.

    Ein Kommentar außerhalb von C …
    Ich sitze gerade grinsend vor meinem Laptop- die Change Curve beschreibt exakt das Verhalten in der Firma (Industrie), wenn mal wieder von ganz oben ein neuer Weg eingeschlagen werden soll und das Ganze als Kettenreaktion wieder von Ebene zu Ebene nach unten getragen wird, oder halt zumindest versucht …

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