DD371: Der gute Ausgang heiligt die Entscheidung

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Die Qualität einer Entscheidung und die Reputation des Entscheiders im Nachhinein daran zu beurteilen, ob sie zum Guten oder Schlechten geführt hat, ist dumm.

In dieser Zeit müssen viele Entscheidungen getroffen werden: Wie vermeiden wir eine zu große Klimaveränderung? Sollte man auf Elektro-, Wasserstoff- oder Hybridantriebe setzen? Gehen wir vorsichtig oder zuversichtlich mit der Corona-Pandemie um? Soll ein Förster nach dem heutigen Fällen von Bäumen nun neu Kiefern, Mischwald oder gleich Akazien setzen, die extreme Trockenheit ertragen können? Oder anders formuliert: Werden die Bäume, die wir heutzutage anpflanzen, überhaupt je groß, wenn es auf Erden heißer wird? Sollen Bauern unter Verlust von Einnahmen schon einmal mit anderen Anbauarten und Pflanzen üben, die später unter anderem Klima gedeihen?

Das sind schwierige Entscheidungen, weil wir „einfach nichts Genaues wissen“. Verändert sich das Klima rasch? Erfindet jemand plötzlich eine sensationelle Feststoffbatterie und übernimmt den Markt? Wie schnell ist die Forschung? So irrwitzig rasant wie bei Computer-Chips oder Photovoltaik?

Wer sich in einem solchen Gewirr von vielen unbekannten Faktoren und Risiken und in einem Geflecht vieler gegensätzlicher Interessen bewegt, muss versuchen… wie sagt man…das Beste daraus zu machen. Das läuft meist darauf hinaus, nachzudenken, zu experimentieren, zu lernen und am Ende Einsichten zu gewinnen, Gefahren zu umschiffen und Risiken zu vermeiden.

Unsere Automobilindustrie könnte unter Verzicht auf Gewinnoptimierung drei- oder viergleisig fahren (auch in Kooperationen), damit sie in jeder Zukunft auf der richtigen Straße bleibt (eCars, HCars, autonome, Feststoffbatterien). Bauern könnten sich lokal einigen, dass jeder von ihnen ein Feldstück zum Experimentieren verwendet – jeder übernimmt dabei eine spezielle neue Art und berichtet den anderen. Man könnte im Umgang mit der Pandemie den schwedischen, deutschen, amerikanischen „Weg“ studieren, vielleicht einfach mehrere gute Strategien entwerfen und sie verschiedene Bundesländer ausprobieren lassen. So würde man schneller lernen und zu Einsichten kommen.

So aber funktioniert die Welt nicht. Man ringt um eine einzige richtige Antwort. Wir wollen definitiv wissen: Gibt es eine Klimakatastrophe? Welcher Antrieb dominiert in der Zukunft? Kommt eine wirkliche Pandemie über uns? Die Zeit wird knapp, wir lernen wenig, wenn wir uns grundsätzlich streiten, ohne zu lernen oder zu experimentieren. Wir spitzen zu: Links oder rechts? Trump oder Biden? Rot oder Grün? Wenn ich fordern würde (ich versuche das gar nicht), dass verschiedene Bundesländer verschiedene Corona-Strategien ausprobieren könnten, gäbe es einen Aufschrei. Bundesländer dürfen zwar tun und lassen, was sie wollen, wir haben schließlich freien Föderalismus, aber die vollkommen autonomen Entscheidungen der einzelnen Länder müssen am Ende gleich sein, weil es sonst ungerecht für die Einwohner wäre.

Quelle: Adobe Stock; Good Studio

https://stock.adobe.com/de/images/young-man-choosing-button-to-push-concept-of-difficult-choice-between-two-options-alternatives-or-opportunities-life-dilemma-decision-making-colorful-vector-illustration-in-flat-cartoon-style/254371335?prev_url=detail

In den sozialen Medien bekomme ich bei einer Erklärung der Lage und des vermutlichen Verlaufs oft die Antwort: „We will see.“ – „Wir werden sehen, wer Recht hat.“ Soll sagen: Man betrachtet die Sache wie eine Art Wettspiel, bei dem der Gewinner Recht hat und der Verlierer sich schämen soll (das tut er leider nicht und streitet mit demselben Grad von Einsicht an der nächsten Stelle weiter). Viele Leute, auch Manager beim Thema Strategie, scheinen mental an einem solchen Wettspiel teilzunehmen. Der Gewinner hat dann von Anfang an Recht gehabt oder richtig gelegen. Der Verlierer muss sich wie ein Depp fühlen. Der Gewinner wird befördert, der Loser dreht Extrarunden. Diese Zuspitzung verhindert alles Lernen. Es wird gestritten und keine Einsicht gewonnen. Bei Corona tobt der Streit in den Medien, bei den Autos in Meetings und Lobbys.

So sind nicht alle Menschen gepolt. Viele Wissenschaftler versuchen fieberhaft, Einsichten die Corona-Problematik zu gewinnen. Masken – ja, nein, oder wann? Veranstaltungen/Feiern – ja, nein, oder wie? Ist das Reisen gefährlich oder der Einkauf? Wie behandelt man Covid-19 als Arzt? Ist das Impfen sinnvoll, und wenn ja, womit?

Diese Wissenschaftler und auch viele der von ihnen beratenen Politiker wollen lernen. Zu Beginn stehen sie bestürzt am Anfang eines drohenden Unheils, dann versuchen sie alle möglichen Maßnahmen und fiebern, möglichst schnell zu lernen. Zuerst wohl etwas überstürzt, dann zunehmend besonnener.

Das nehmen diejenigen, die innerlich polarisiert auf „Katastrophe“ oder „Panikmache“ gesetzt haben, fast übel. Jedes Mal, wenn so etwas wie eine Einsicht erzielt wird, wird von den Hardlinern und den Laissez-Faire-Anhängern gewertet, ob die eine Seite oder die andere Pluspunkte erzielt hat. „Warum habt ihr im März so entschieden und jetzt anders herum? Warum helfen Masken erst nicht und dann doch?“ Die richtige Antwort scheint nicht akzeptabel zu sein: „Im März wussten wir gar nichts, jetzt ein bisschen.“

Anstatt aus Einsichten zu lernen, nutzen die dramatisierenden Medien zusätzlich jede neue Information zur Belebung der Kanzlerfrage. Wenn wir in eine Corona-Winter-Katastrophe laufen, gewinnt Söder. Wenn es harmlos ausgeht, Laschet. Es geht darum, Recht zu behalten. Und der, der Recht behält, hat die beste Entscheidung getroffen, von Anfang an. Wer im Verlauf seine Meinung ändert, weil das neue Einsichten nahelegen, ist ein Loser.

Wer herumkurvt, weil die Einsichten den richtigen Weg noch immer nicht sicher zeigen, mal so oder so, dem ist nicht zu trauen – zum Beispiel dem RKI.

Wir ehren nicht die um Einsicht Ringenden, sondern für uns ist derjenige der Super-Hero, der es von Anfang an so gewusst und gesagt hat.

PS: Wenn man Milliardäre nach ihrem Erfolgsrezept fragt, ist es klar, dass sie willensstark, durchsetzungsfähig, clever etc. sind. Sie sagen aber auch alle, dass sie im Gegensatz zu anderen das Glück hatten, kompromisslos auf eine einzige im Nachhinein richtige Karte gesetzt zu haben. „Ich war auf meinem kompromisslosen Weg etwas verrückt, wissen Sie? Aber ich habe es geschafft.“ In der Psychologie nennt man das „hypomanisch“, wir anderen nennen es visionär, weil es am Ende gestimmt hat.

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18 Antworten

  1. Ich stimme dem Gedanken zu; danke für den Beitrag!
    Hinzufügen möchte ich:
    Es ist allerdings schon so, dass es Ideen gibt, die von Anfang an schlecht sind. Wenn eine Idee den schon vorhandenen Erkenntnissen widerspricht, dann soll der, der sie trotz wohl begründeter Warnungen umsetzt und damit Schaden anrichtet, auch Verantwortung dafür übernehmen.
    Außerdem ist es hilfreich, bei Entscheidungen eine vorhandene Unsicherheit auch anzugeben und zu begründen, warum trotzdem eine Entscheidung notwendig ist (und nicht vielleicht eine Empfehlung ausreicht).

    1. Nennt man diese schlechten Idee in einer Demokratie nicht „Kompromisse“? Sorry, could not resist. Und Verantwortung übernehme ich gerne, wenn ich nach einem „Sorry“ zwar aktuell ohne Amt, aber mit weiter reichlich Kohle ausgestattet bin, wie der gegelte Adelige, von denen in einer Republik noch erstaunlich viele rumlaufen…

  2. Der Ausgangspunkt war die Frage nach Glücksspiel mit Ausgang oder „educated guess“. Aktuell kommt es mir tatsächlich so vor, als habe Sokrates Recht, weil „ich weiß, dass ich nichts weiß“ gilt. Dahin frage ich allerdings schon, nur bezogen auf die Virusgeschichte, was „die Wissenschaft“ in den vergangene Jahren erforscht hat, wenn sie fundamentale Wirkprinzipien „immer noch nicht verstanden hat“. Sie schreiben es, in Silizium hat es Boom gemacht, wer hätte eine 400GB Speicherkarte in der Größe eines Fingernagels erwartet? Nur in der Biologie sind wir weiter ratlos? Schon eigenartig. Wo sind sie verschwunden, die Forschungsmilliarden? In Guttenbergensischen Dissertationen? Ah, nein, der hat ja genau keine Wissenschaft betrieben, sondern lediglich Titelklaub…

  3. Entscheidungen werden nicht nur „unter Nichtwissen“ getroffen, sondern auch unter Berücksichtigung von Interessen. Wenn ich nichts weiss, dann treffe ich immer die Entscheidung, die mir mehr „Macht/Gewinn“ verspricht. Dazu kommen Medien, die natürlich auch nichts wissen, sondern auch Interessen (Auflage, klicks) verfolgen. Wissenschaft unterliegt dem gleichen Spiel (siehe Kuhn) und wird durch gerichtete Förderung auch den Interessen der Politik unterworfen.

    Es geht nicht darum, welcher Entscheider „richtiger“ lag, sondern welcher Entscheider, die Wirkmechanismen der Medien besser bedienen konnte.

    In unserer Gesellschaft versuchen wir Glück zu ignorieren. Bei Firmengründern betrachten wir nur die Erfolgreichen und Gesamtzahl derjenigen, die eine Firma gegründet haben. Dies führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität.

  4. Leider sind es auch immer die extremen (Hardlinern und Laissez-Faire-Anhänger), die von hüben und drüben, von oben und unten und von links und rechts ganz laut schreien.

    Meine Oma hat immer gesagt: „Früher hast du gerade mal mitbekommen wenn im Nachbarort ne Scheune brennt. Heute sehe ich alle Scheunen der Welt brennen“

  5. 1) Ein eigentlich eher „komplexitätsreduzierter“ Chef gab eenmal inen verblüffend pointierten Spruch aus seinem Leistungssport zum Besten: „Entweder ich gewinne … oder ich lerne „.

    2) Wie treiben wir dem System aus, diejenigen zu belohnen, die „es immer schon wussten“/nicht lernen? Die bedienen ja die Vater/Mutter-Komplexe so schön. Bzw. werden Trump, Scheuer, … (selbst einsetzen) auch abgewählt?

    1. Hm. Werden nicht abgewählt, weil sie immer Listenplatz 1 innehaben. Warum ist nun genau das so? Und Trumphäme bringt auch nichts, weil, da gibt es Leute, die wollen ihn auf Listenplatz 1 – das nenne ich „clever“. Wer hat jetzt genau was davon? Das ist wohl die entscheidende Frage, denn Gewinner gibt es immer.

  6. Ja, hinterher ist man immer schlauer – aber nur, wenn man lernen will und kann. Das tut die Wissenschaft im Moment.
    In den Medien lesen die meisten doch die reißerischen (und hämischen) Kommentare auch lieber als nachdenkliche Artikel. Und in der Politik sind kurze prägnante Aussagen üblich. Das nennt sich nicht „Lernen“ sondern „Meinungsbildung“.
    Jetzt ist es sogar so, dass wir noch garnicht sagen können, was am Ende herauskommt. Aber jede/r wird etwas finden, um zu sagen „Ich habe recht gehabt!“ Insbesondere, wenn wir „am Ende“ nur die Gewinner fragen (was auch immer die gewonnen haben).
    Ich sehe es schon so, dass momentan alle auf die Nachbarn schielen: Land X schaut, was in Land Y nach Lockerung/Straffung der Regeln passiert. Nicht so wie die Presse das oft tut („Da darf man das und hier nicht, manno!“) sondern um daraus zu lernen.
    Wahrscheinlich bin ich hoffnungslos optimistisch 😉

  7. Ray Dalio hat in seinem Unternehmen eine Kultur der Fehler etabliert. Das funktioniert in einem Fonds mit Investitionsentscheidungen sehr gut. Die kann man schnell korrigieren.
    Für ein Krankenhaus ist so eine Kultur nicht so sinnvoll. Vera Birkenbihl würde fragen: Was ist der Preis für eine Fehlentscheidung?

    1. Ein vertuschter Kunstfehler, so wie „üblich“? Ärzte sich doch auch nur Menschen (ich erinnere mich da an Multiresistente Keime, von denen aktuell auch niemand berichtet, von wegen Intensivmedizin und so) Apropos: Wenn in einer südafrikanischen Golfmine der Lohn wegen eines Fehlers der Abrechnung nicht gezahlt werden kann, dann gibt es auch Tote…

  8. Dazu fällt mir ein Zitat ein, das dem Literatur-Nobelpreisträger von 1947, André Gide, zugeschrieben wird:
    Vertrauen sie denen, die nach der Wahrheit suchen und misstrauen sie denen die sie gefunden haben.

  9. Wäre HYPOMANIE demnach nicht ein vortrefflicher Titel für ein nächstes Buch, Prof. Dr. Dueck?

    (Ich kann das Inhaltsverzeichnis schon FAST vor meinem geistigen Auge sehen…^^)

  10. Danke für das „Reframing“ der aktuellen Entwicklungen. Ja genau: Lernen ist zentral, Erkenntnisgewinn sollte mehr Respekt genießen als der Erfolg.

  11. Dieser Artikel ist eine Wohltat und ich bin sehr froh, dass er in meinem Feed-Reader gleich nach dem letzten Artikel „Should social media dampen uncertain stories?“ von Martin Fowler kam. Die Idee, dass wir den Prozess des Ringens abkürzen könnten in dem wir unsichere Informationen (was ist schon sicher!?) verzögert ins Netzwerk entlassen, ist weiteres Arsen für die Idee, dass wir das Ringen und nicht das Eh-Schon-Gewusst-Haben fördern sollten.

    Umso schöner diesen Artikel darauf zu finden.

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