DD244: Scheinzwerge oder Viele Probleme werden größer, wenn man sie anpackt (Griechenland) (Juli 2015)

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DD244: Scheinzwerge oder Viele Probleme werden größer, wenn man sie anpackt (Griechenland)  (Juli 2015)

Michael Ende hat uns eine wundervolle Figur und Vorstellung geschenkt, nämlich die des Scheinriesen mit dem Namen Herr Tur Tur. Das ist ein normaler älterer Mann, der aus weiterer Entfernung gesehen immer größer erscheint, eben wie ein Riese. Wenn man sich aber nicht fürchtet und auf ihn zugeht, ist der scheinbare Riese nur ein einfacher Mensch. Er erscheint also in der Ferne nicht kleiner, sondern größer! Das beklagt er dauernd, aber es hat auch Vorteile. Viele Prominente sind Scheinriesen. Sie erscheinen sehr groß, aber wenn wir ihnen als Person begegnen, ungeschminkt und ohne fremdgeistreichen Drehbuchtext – tja, dann sind sie überraschend normal, also eher enttäuschend. Das wissen viele von ihnen, deshalb scheuen viele Prominente und vor allem Top-Manager das normale Volk.

Es gibt aber auch – das will ich hier erklären – Scheinzwerge. Die sind bisher noch nicht entdeckt worden, und dabei sind sie eher wichtiger. Scheinzwerge sind so etwas wie sehr große Riesen, die aber aus der Entfernung sehr klein erscheinen. Erst wenn man auf sie zugeht, merkt man, dass es sich um ungeheuer große Riesen handelt, vor denen man sich aus der Entfernung nie und nimmer fürchten musste. Ich will Sie hier warnen: Solche Scheinzwerge sind unter uns, aber wir wissen das nicht, solange wir uns ihnen nicht nähern.

Ein berühmtes Beispiel ist der Berliner Flughafen, der ja vor Jahren nur deshalb nicht in Betrieb genommen werden konnte, weil so etwas wie eine komplizierte Feuerleiter fehlte – so jedenfalls sah es aus der Entfernung aus. „Schnell, baut ein bisschen Brandschutz ein, dann eröffnen wir eben ein paar Tage später!“ Das ging seltsamerweise nicht so einfach, und es erschienen bei näherer Betrachtung immer größere Probleme. Verstehen Sie? Der Berliner Flughafen ist als Problem gesehen ein Scheinzwerg gewesen oder ist es noch. Die, die ihn aus der Nähe gesehen haben, erklären kalkweiß, dass man alle Problematiken im Griff habe. Sie spielen das Problem herunter. Das können sie relativ leicht, weil wir der Täuschung des Scheinzwergs unterliegen. Wir sind zu weit weg. Die vor Ort können uns locker belügen. Am Ende ist es gar nicht sicher, ob der neue Flughafen schon Landebahnen hat, und ob dafür noch Abrissgenehmigungen von Innenstadtvierteln fehlen. Die Größe dieser riesigen Scheinzwerge können wir nur ahnen. Deshalb heißt es bei Abhörskandalen und Kirchenkindesfehlbehandlungen immer wieder: „Das ganze Ausmaß der Affäre können wir nur schwer ermessen.“ Scheinzwerge eben.

Viele Probleme sehen aus der Ferne ganz leicht aus. Manager, die nicht daran arbeiten müssen oder wollen, weil sie es wohl auch nicht können, sagen erstaunlich oft: „Das muss doch einfach gehen.“ Über dieses Statement sind die Fachleute immer wieder zutiefst bestürzt, weil sie näher am Scheinzwerg stehen. „Die da oben sind blind.“ Das stimmt nicht ganz, sie sind nur zu weit weg. Erst wenn alle wirklich am Problem zu arbeiten beginnen, wird das Ausmaß der Katastrophe nach und nach sichtbar. Schließlich bekommen wir, die aus der Ferne gar nicht wissen, dass es sich um einen Scheinzwerg handelt, den Eindruck, dass wir fortwährend belogen werden. Immer mehr Milliarden versinken, immer neue Problemlösungsversprechen und dann wieder: „Es ist komplizierter als wir dachten.“ Man sagt, Helmut Kohl hätte vielleicht nicht so schnell die Wiedervereinigung mit einem 1:1-Umtausch der DDR-Mark in DM betrieben, wenn er gewusst hätte, dass sich die Problembewältigung über Jahrzehnte hinzieht. Man dachte damals, der Währungsumtausch und die Schuldenübernahme wäre schon der größte Schluck aus der Pulle, aber man merkte dann doch, dass der Systemwechsel, das Umdenken der Menschen und der Aufbau von Autobahnen, Verwaltungsstrukturen, Managementstrukturen und wettbewerbsfähigen Industriebetrieben längere Zeit brauchte. Auch schien es den so genannten Wessis so, als ob die Probleme eigentlich kleiner wären als es die so genannten Ossis beteuerten. Die Ossis waren aber näher am Scheinzwerg dran und schilderten den Wessis entsprechend dessen immense Größe. Die Wessis reagierten aber mit Unglauben, weil sie lieber ihren eigenen Augen vertrauten. Die Wessis hielten die Ossis für verstockt und unwillig und nahmen ihnen übel, dass sie sich scheinbar nicht voll verantwortlich für alle Probleme fühlten.

Diese Missverständnisse um Scheinzwerge wiederholen sich immer wieder, weil niemand bisher erkannt hat, dass es Scheinzwerge gibt. Deshalb reden jetzt Blogger, Politiker und Journalisten aus sicherer Entfernung über den Scheinzwerg Griechenland. Sie haben alle die Ernüchterungen rund um die neuen Bundesländer vergessen und denken sich schnell mal Patentlösungen aus wie „Erlasst denen einfach die Schulden“ oder „Führt dort die 48-Stunden-Woche ein, die zum deutschen Wirtschaftswunder ausreichte“ oder „Der Europagedanke steht über allem“. Solche dummen Diskussionen beherrschen die TV-Talkshows und Facebook-Timelines. Deshalb möchte ich hier fast flehentlich darum bitten, dass Sie alle zur Kenntnis nehmen und endlich verstehen, dass es sich hier wieder einmal um einen Scheinzwerg handelt.

Von weitem lassen sich immer Zweizeilerlösungen finden, die die Welt erlösen (Buddha: „Lass ab von Hass, Gier und Verblendung“), aber die Sache gestaltet sich immer dann schwierig, wenn es ins Detail geht, wenn also das Problem nicht nur theoretisch gelöst wird, sondern ANGEPACKT. Hat es beim Berliner Flughafen geholfen, nur das nötige Geld dafür bereitzustellen? Nein, man muss anpacken. Und erst dann merkt man, dass man einen Scheinzwerg vor sich hat.

Hilfe! Die Planer, Controller, Finanzer, Manager und so weiter mit ihren Plänen und Meilensteinen berücksichtigen nie, dass sie einen Scheinzwerg vor sich haben könnten – denn ein Plan geht ja nicht so nah an den Scheinzwerg heran… Hilfe! Die immer idealistischen Blogger, die kurzgebrieften TV-Moderatoren, die notorischen Übergutmenschen schauen sich den Scheinzwerg auch nicht aus der Nähe an!

Ich schreibe aus Waldhilsbach, das ist weit weg von Griechenland, wo ich oft Urlaub machte, weil wir das Land lieben. Weit weg bin ich! Ich bin aber ganz gewiss, dass es sich um einen Scheinzwerg handelt. Und ich trauere, dass ich mich mit dieser Sicht ganz allein fühle, umspült von einem Meer unsinniger, hasserfüllter oder simplifizierter Patentvorschläge, die so abstrus verschieden sind, dass sie bald schon unsere Parteien und Familien daheim unnötig spalten. Gehen Sie näher an den Scheinzwerg ran – das können Sie tun! Aber wenn Sie unbedingt aus der weiten Entfernung über einen Scheinzwerg urteilen wollen, bedenken Sie, was Sie tun.

Alles klar?

Ich denke gerade darüber nach, wo es noch weitere unerkannte Scheinzwerge gibt. Der größte, den ich bisher fand, heißt: „In den Köpfen der anderen muss sich etwas ändern.“

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35 Antworten

  1. Scheinzwerge gibt es auf der Arbeit auch genug.
    – „Nach der bald abgeschlossenen (aber noch nicht einmal angefangenen) Restrukturierung geht es wieder bergauf“

    – Wenn wir dieses Jahr auf eine Lohnerhöhung (-> Inflationsausgleich) verzichten, dann bleiben wir konkurenzfähig“

    – „Ein Mann buddelt an einem 100m³ Loch 10 Tage. Das Loch muss aber in vier Stunden fertig werden, wieviele Arbeiter stellt der Manager ein damit das Projekt in der Zeit fertig wird?“ (Kleine Scherzfrage, die gut zu dem Thema passt 😉

    Greets
    JC

  2. den griechischen scheinzwerg sehe ich auch sehr deutlich. also keine trauer bitte, du bist nicht allein mit deiner sicht. traurig und zum heulen bleibt allerdings, was dies alles für das leben der griechen bedeutet. ein gemeinsames und solidarisches europa ist so verdammt weit weg und offenbar auch ein scheinzwerg!

  3. Eine wunderbare, sehr gelungene bildhafte Darstellung (Scheinzwerg).
    Um im Bild zu bleiben: Leider wurde seinerzeit von den allermeisten Verantwortlichen nicht erkannt, daß es sich bei der Einführung einer einheitlichen Währung in einem sehr heterogenen Wirtschaftsraum mit unterschiedlichen Mentalitäten um einen sehr, sehr großen Scheinzwerg handelt. Mehrheitlich war man der Meinung, es handele sich dabei um einen Scheinriesen, schritt daher eifrig darauf zu und fand nicht rechtzeitig den Mut zur Umkehr.
    Diesen damaligen Irrtum (nicht Scheinriese, sondern Scheinzwerg) müssen heute bedauerlicherweise wir alle (insbesondere der griechische Normalbürger) büßen.

    1. Ich denke, der Fehlglaube war, dass wenn es erst mal eine Währungsunion gäbe, die wirtschaftliche und politische Union schnell(er) folgen würde. Der Euro sollte ja nur ein Meilenstein auf dem Weg sein. Dass es danach nicht (oder nur sehr schleppend) weiter geht, stand wohl damals nicht auf dem Plan.

  4. Den Prof. Dr. Hans- Werner Sinn lesen wohl auch wenige & echte Erfahrungswerte durch Mitarbeit bei der ehemaligen Treuhandanstalt fehlen..Generalisierungen machen es ja regelmäßig anschaulich- strengt das Denken nicht so an-, aber eben nicht besser. Ossi/ Wessi – die Griechen/ die Deutschen… Irgendwelche cluster sind wenig hilfreich- ausgenommen der Scheinzwerg, der sich in vielen System verbirgt.Mit besten Grüßen..

  5. Das Problem dieser Situation ist, dass keiner darüber nachdenkt, dass es hier um ein Land mit Menschen geht, die in ihrer Kultur und Denkweise leben, die nicht mal eben durch von oben aufgesetzte Maßnahmen und Regeln nach Belieben veränderbar sind. Jeder hat damit schon Erfahrungen gemacht, dass es verdammt schwierig ist, ein bestehendes System, sei es in Firmen und Organisationen, in eine neue Richtung zu bewegen.

    Den Menschen fehlt das systemische Denken und die damit verbundenen natürlichen Gesetze. Es gibt Dinge, die sind eben nicht einfach so zu regulieren und in neue Richtungen zu bewegen, die andere für richtig halten. Menschen sind keine Sachen, wo es einen Knopf gibt, den man ein- und ausstellen oder nach Bedarf regulieren kann.

    Meines Erachtens zeigt sich hier zunehmend die Wahrheit: das mit der Vereinheitlichung durch den Euro war ein netter Versuch, aber leider hat man dabei natürliche Bedingungen wie die Menschen in ihren unterschiedlichen Ländern und deren Kulturen vergessen zu berücksichtigen.

  6. Mmmhhh … ich bin mir nicht sicher, ob es sich im Fall Griechenlands nicht eher um einen Scheinriesen handelt. Natürlich ist es kein kleines Problem, und es bräuchte wirklich innovatives Denken und vor allem auch Willen der Betroffenen, um eine gute(!) Lösung zu finden.

    Aber die ganzen Untergang-des-Abendlandes-Phrasen der letzten Wochen fühlen sich schon irgendwie aufgeblasen an. Ich denke, da hatten alle Seiten das ganz große Blasebalgkaliber aufgefahren. Und jetzt weiß keiner mehr wohin mit der ganzen aufgestauten heißen Luft.

  7. …. richtig gute Geschichte mit den Scheinzwergen und so wahr in allen Lebensbereichen, auch im Business.

    Man darf jedoch nicht vergessen, dass es neben den Scheinzwergen auch Scheinprobleme gibt die oft noch vor dem Scheinzwerg stehen und diesen verdecken. Denn das eigentliche Ziel das hinter dem Scheinzwerg steht ist oft ein ganz anderes als das, das nach vorne geschoben wird und vom tatsächlichen hinterGRUND ablenken soll.

    Leider merken das immer noch zu wenige. Aber die wollen auch gar nicht näher an den Scheinzwerg ran weil sie instinktiv wissen, das das Ding dann für sie zu groß wird. Leider!!

  8. @Lothar Klatt:nein, Herr Klatt. Die Vereinigten Staaten von Europa brauchen wir nicht. Eher ein basisdemokratisches „Europa der Regionen“. Während der Ostblock zusammenbrach wurde in Brüssel auf die große Lösung von oben gesetzt, anstatt von unten und langsam ein gemeinsames Europa wachsen zu lassen, immer wieder mit Rückversicherungen durch Abstimmungen der Bürgerinnen und Bürger.

  9. Die USA wollen Griechenland (NATO) behalten. Das weiß auch Frau Merkel. Ob Riese oder Zwerg ist dabei egal. Irgendeine Erklärung hat man ja schon gefunden.

  10. Scheinzwerg ist ein prima Begriff für das Phänomen. Es ist leicht geurteilt über Griechenland, das so ganz anders tickt als der Norden.

    Hat nicht schon Abraham Lincoln gesagt: Ihr werdet mit Sicherheit in Schwierigkeiten geraten, wenn Ihr mehr Geld ausgebt, als Ihr einnehmt.

    Wer als Privatmann oder Bank oder Staat verschuldet ist, macht sich dadurch immer zunächst abhängig vom Gläubiger. Das kippt erst, wenn man es schafft, so viele Schulden aufzuhäufen, dass sie auch den Gläubiger in den Abgrund reißen können. Dann ist man plötzlich mächtiger als der. Aber um welchen Preis?

    Man muss dann zwar seine Kredite (credere=glauben) nicht mehr zurückzahlen, ist aber dafür eben auch unglaubwürdig geworden. Aber es steht ja jeden Tag ein Dummer auf…

  11. Also das ist die Hölle. Ich hätte es nie geglaubt … Wißt ihr noch: Schwefel, Scheiterhaufen, Rost… Was für Albernheiten. Ein Rost ist gar nicht nötig, die Hölle, das sind die andern.“ Garcin in „Geschlossene Gesellschaft“, von Jean-Paul Sartre.

    Ist das die Analogie zu:
    „In den Köpfen der anderen muss sich etwas ändern.“
    ???

    Scheinriesen, Scheinzwerge usw. das ist alles selbst erzeugte, virtuelle Welt, an die wir, mehr oder weniger, glauben.
    „Des Menschen denkenundglauben ist sein Himmelreich“.
    Der performative Sprechakt schafft die Wirklichkeit, an die (fast) alle glauben und erfüllen damit die Prophezeihung desselben. Die einen glauben an Riesen, die anderen an Zwerge und die Dritten an sonstwas.

    Wer das tiefgründiger erklärt haben will schaue im Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari.

  12. Bedrohlich sind Scheinzwerge an sich nicht. Erst in Kombination mit einem Distanz-Management das sämtliche Schuld an den unerreichten Zielen den Arbeitern gibt, werden sie zur drückenden Last.

  13. Ich glaube, das Auftreten der Scheinriesen und auch der Scheinzwerge hat auch damit zu tun, dass die menschliche Fähigkeit zur Prognose womöglich zu stark von linearer Progression geprägt ist und dies in der Zukunft sehr häufig zu starken Abweichungen zur oft nichtlinearen Realität führt. Dies beinhaltet allerdings gleichzeitig die freundliche Vermutung, dass es sich um Unvermögen und nicht um schlechte Absicht handelt, was wiederum einigen Erfahrungen der Vergangenheit widerspräche. Vielleicht zwei Effekte, die in Kombination verstärkend zusammen wirken?

  14. Das Thema ist sehr gut beschrieben und „Scheinzwerg“ eine passende Analogie. Aber, Herr Dueck: neben dem Scheinzwerg-Dilemma sehe ich noch ein viel Größeres und das ist die gezielte und gesteuerte Desinformation und das Schaffen von Feindbildern durch die Medien. Wie titelte jüngst der Focus (in auf griechisch gemachter Schrift)? „Keinen Cent mehr!“ Wie Griechenland sich selbst, Europa und die Welt in Gefahr bringt.“ DAS nenne ich mal Demagogie, denn es wird suggeriert, dass das Griechenland-Drama ein hausgemachtes Problem der Griechen ist. Ist es aber nicht. Aber das Dumpfbackengetöne am Stammtisch gegen das „schmarotzerische Griechenland“ nimmt zu. Aus meiner Sicht ist das noch schlimmer, als nur das Problem zu verkennen: ein ganzes Volk, unabhängig von seiner Kultur, Denk- und Lebensweise medial in Sippenhaft zu nehmen.

    Übrigens habe ich noch eine Anregung zum Thema Scheinzwerg – nehmen Sie doch mal den NSA Skandal unter die Lupe. Darf man bloß nicht drüber reden….

  15. Wenn du einem Riesen begegnest, fürchte dich nicht. Prüfe erst am Stand der Sonne, ob es nicht bloß der Schatten eines Zwerges ist.

    Wenn du einem Zwergen begegnest, sei auf der Hut. Prüfe erst am Stand der Sonne, ob es nicht etwa der Schatten eines Riesen ist.

    Chinesische Weisheit

    Und leicht zu merken 😉

  16. Griechenland hat kein Schulden-, sondern ein mittelfristig unlösbares Produktivitätsproblem.

    Im 3. Quartal 2014 betrug die Staatsverschuldung pro Kopf in Griechenland ca. 28.636 € (315 Mrd € / 11 Mio EW) und in Deutschland 26.437 € (2.155 Mrd € / 80 Mio EW). Rechnet man die Schuldenquote vom BIP um, dann erwirtschaftet jeder Grieche 16.964 € (168,8%) und jeder Deutsche 36.515 € (72, 4%), d.h. die Deutschen sind ca. 2,15 mal produktiver als die Griechen.

    Es bräuchte entweder eine Verdopplung der Produktivität bzw. Abwertung der Währung um 50% oder eine Solidaritäts- und Transferunion mit Staatenfinanzausgleich bzw. biblischen Schuldenschnitt alle paar Jahre. Die Staatsquote bzw. -ausgaben hat Griechenland bereits stark gekürzt. Um langfristig im Euro zu bleiben bräuchte Griechenland massive Investitionen in Zukunftstechnologien.

    Der Vergleich Ossi und Wessi passt hier ganz gut. Die Produktivität in der DDR war 1989 gegenüber der BRD immerhin bei 70% und die Griechen haben heute nur 46% gegenüber Deutschland. Junge qualifizierte Ossis sind massiv in den Westen abgewandert und werden dies auch zukünftig tun, sodass im Osten die Fachkräfte und Geburten fehlen. Der Westen profitiert von zusätzlichen Fachkräfteangebot, was die Löhne niedrig hält. Dies verhindert im Osten nennenswerte Investitionen in zukunftsträchtige Technologiezweige, die Löhne steigen nicht und das führt zum kontinuierlichen ausbluten des Ostens. Ein Teufelskreis. Ähnliche Entwicklungen nehmen auch im Westen strukturschwache Regionen, weshalb es diesen ohne unseren Länderfinanzausgleich genauso wie Griechland gehen würde. Tritt Griechenland aus der EU aus, dann viele die Beschäftigungsfreizügigkeit weg und Fachkräfte würden in Griechenland gehalten.

    Ein Austritt der Griechen aus dem Euro und der EU wären nicht zwingend die schlechteste Variante, außer Europa akzeptiert die Transferunion mit Geber- und Nehmerländern.

  17. Wie Recht er doch wieder hat der Gunter mit den Scheinzwergen und dem Thema Griechenland. Das Thema lässt sich doch unendlich erweitern. dabei ist Griechenland nur ein Teilaspekt, quasi ein Scheinzwerg in einem Scheinzwerg, der sich EURO-Zone nennt. Aus der Ferne betrachtet und die U.S.A. haben es uns doch vor über 250 Jahren vorgemacht (sagen unsere Politiker), muss doch eine Wirtschaftsunion mit einheitlicher Währung funktionieren. Aber eben nur Scheinbar. Die Theorie dieser Solidargemeinschaft funktioniert nur unter wirklich Gleichen und nur in einem sehr schmalen Band dessen was wir Neuverschuldung nennen – weder zu viel (Griechenland) noch zu wenig (Deutschland), beides wird sträflich in diesem diffizilen System EU geahndet.

  18. Ich liebe den Begriff Scheinzwerge, allerdings in einem ganz anderen Kontext, denn zu Griechenland kann und will ich nichts sagen. Dazu kenne ich die tatsächlichen Hintergründe und Ursachen zu wenig. Das was man hört und liest sind doch viel zu oft nur Symptome und individuelle Meinungen und (Schluss-?)Folgerungen.

    Viel mehr passt für mich in dem Kontext Ihr letzter Satz, lieber Her Dueck. „In den Köpfen der anderen muss sich etwas ändern.“ (Satiremodus ein) Wie gut ist es doch, dass sich doch zumindest in meinem Kopf nie etwas ändern muss (Satiremodus aus). Sich über die Köpfe der anderen das Maul zu zerreißen statt selbst zu reflektieren, wo man steht, war immer der beste Weg, um von den eigenen Problemen abzulenken. Und so frage ich mich, wovon wir jetzt gerade abgelenkt werden sollen.

    Der Kontext, der für den Begriff „Scheinzwerg“ in meiner Wahrnehmung besser passt, sind wir selbst – bzw. grob geschätzt 99% von „uns“. Äußerlich in der Gestalt, unscheinbar, weil alle irgendwie verschieden aber doch gleich, sind wir, wenn wir uns im Innern entdecken von ungeheuerer und oft ungeahnter Größe. Viel zu oft steckt eine Vielzahl an verborgenen (und manchmal lange oder immer unentdeckten) Potenzialen/Möglichkeiten und Talenten/Fähigkeiten in uns, die wir uns nicht trauen sichtbar zu machen. Und so bleibt für uns selbst und andere unsere wahre Größe unsichtbar.

    Was entstehen kann, wenn wir die Größe sehen und sichtbar machen ist ein Mehr an gesundem Menschenverstand und gesundem Menschengefühl, das uns in täglichen „Kleinklein“ aber auch bei den größeren Dingen wie kleinen und großen Krisen sehr helfen würde.
    Und vielleicht würde das sogar dazu führen, dass wir es zulassen, dass auch die Menschen in Griechenland Gelegenheit finden selbst gemeinsam zu reflektieren was da faul (und was da gut) ist im Staate Griechenland und wie sie in Angesicht der für sie sehr deutlich sichtbaren und spürbaren Probleme Lösungen finden. Aber hier begebe ich mich wieder auf mir unbekanntes Terrain. Und gerade auch im Zusammenhang mit gesundem Menschenverstand und gesundem Menschengefühl gilt weiter: „Schuster bleib bei Deinen Leisten.“

  19. Ein sehr bekannter, sehr umstrittener und meines Erachtens sehr verkannter deutscher (Familien-) Therapeut hat es mal so auf den Punkt gebracht:
    „Immer wenn ein Problem wahnsinnig groß und kompliziert erscheint, ist die Lösung meist recht einfach. Und immer wenn ein Problem sehr einfach und schlicht erscheint, ist die Lösung meist sehr kompliziert.“
    Im ersten Fall ist wohl der Schein-Riese gemeint und im zweiten Fall wohl der Schein-Zwerg.

  20. Vielen Dank für den Denkanstoß „Scheinzwerge“.
    Wie lassen sich Scheinzwerge von Scheinriesen und von „normalen Themen“ unterscheiden?
    Im Bild ist die Antwort einfach, man geht darauf zu.
    Was aber, wenn ein Riese sowohl aus der Ferne wie auch aus der Nähe wie ein Zwerg erscheint – und umgekehrt? Was, wenn sich das Phänomen laufend ändert?
    Solchen Fehleinschätzungen unterliegen wir doch laufend (leichter als gedacht, schwerer als erwartet, …). Voraussetzung dafür, damit umgehen zu können ist, dass wir sie eingestehen.
    Ein anderes Problem bei der Lösung der angesprochenen Probleme ist vielleicht auch die Beschränkung (Festlegung) auf zwei (unattraktive) Alternativen (oder gar keine). Das ist doch dann eher ein Zeichen dafür, dass man eben noch keine Lösung gefunden hat und weitersuchen sollte, statt aus zwei schlechten Alternativen einen Kompromiss in Form einer Scheinlösung zu bilden.

  21. Ich verstehe nicht ganz warum hier so auf Euro und EU rumgehackt wird. Es wurde offensichtlich vergessen, dass die Krise vor Allem durch die übernationalen Banken ausgelöst wurde. Was hat es mit Euro und Griechenland zu tun?

    Dass man nicht mehr ausgeben kann/soll als man einnimmt ist schön und gut, nur tut es so gut wie kein Land der Welt, auch Deutschland ist dabei keine Ausnahme.

    Die teilweise chaotischen Zustände im staatlichen Finanzsystem Griechenlands waren auch vor der Krise wohl bekannt und das hat niemanden davon abgehalten dieses Land erst in die Euro-Zone aufzunehmen und dann jahrelang mit Finanzstützen aus Brüssel am Leben zu erhalten. Jetzt wurden die Zahlungen größer und auf einmal ist es ein Problem. Und ohne EU wäre Griechenland schon längst Pleite und damit das Märchen von der sozialsicheren Europa längst Geschichte.

      1. Ich widerspreche mir nur bedingt – dass man (und auch Staat) nicht über die Verhältnisse leben soll, ist eine Binsenweisheit.

        Man soll nur nicht auf die anderen Spucken nur weil man eben statt 170% BIP „nur“ 80% BIP Staatsverschuldung hat. Dazu noch kaputte Infrastruktur (Schulen, Straßen, Brücken und Bahnen), die noch Unmengen an Instandsetzungskosten verursachen wird. Oder auch nicht, wenn es nach unserem Finanzminister gehen soll.

  22. Sie sind nicht allein. Und die EU kann froh sein, dass Griechenland pleite ist und nicht etwa Frankreich. Der Euro ist eine wirklich dilletantisch eingeführte Währung.

  23. @Gerhard (15): Danke.
    Scheinzwerge sichern Millionen von Menschen, die vom eigentlichen Problem nichts wissen wollen, eine lukrative Einnahmequelle auf den Schultern von anderen, die das Problem noch lösen könnten und wollten.
    Diese Menschen (high potentials…) setzen bewusst Ziele, die eine Lösung erfolgreich verhindern (es könnte sein, dass dies nur „scheinbewusst“ passiert) – und damit Potential schaffen für noch mehr Menschen, die von diesem wachsenden Problemberg sehr gut leben.
    Leider kostet das alle anderen mehr als nur Geld…

  24. Vielleicht kann man sich diesen Themen gut unter dem Begriff der Kontingenz nähern.
    Kontingenz beruht auf Unterscheidungen und Konstruktionen, welche immer so und auch anders sein und gemacht werden könnten.
    Absolutes Wissen ist prinzipiell unmöglich. „Es kann immer auch ganz anders sein“.
    DAS ist das WICHTIGE!!!
    ES KANN IMMER AUCH GANZ ANDERS SEIN!!!

    Zugegeben, man muß schon sein Hirn einschalten, um den Dingen möglichst nahe zu kommen.

    KONTINGENZ
    Den Begriff sollte man sich einprägen!

    PS: Schon Daniel Kahneman hat das Schnelle und langsame Denken (Hirn einschalten) in seiner Theorie von System 1 und 2 wunderbar beschrieben.

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