Hass-Magneten

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Hass ist schlimm. Hass muss verurteilt werden. Hass ist böse. Hass vergiftet. Ich ducke mich schon vor der folgenden Beobachtung, von der ich hier einmal berichte: Viele Beiträge im Netz fordern Hass geradezu heraus.

Erstaunlicherweise haben (die allermeisten?) Politiker überhaupt keinen Sinn dafür, was wir beim Lesen ihren Tweets auf Twitter fühlen. Es wird wohl so sein, dass sie Profi-Tweeter beschäftigen, die viel Geld bekommen, aber noch erstaunlicher überhaupt keine Ahnung zu haben scheinen, was man beim Lesen ihrer Tweets fühlt. Nun habe ich schon zweimal das Wort „fühlt“ verwendet. Das ist Absicht – und ich muss es wohl noch inflationärer benutzen. Hass kommt aus negativen Gefühlen.

Beispiel: Als sich Manuela Schwesig wegen der Sachlage um „Putin/Nordstream“ schrillen Rücktrittsforderungen ausgesetzt sah, sah man sie mit glücklicher Miene auf einem Twitter-Foto mit einem riesigen Erdbeer-Geburtstagskuchen: „selbstgebacken von einem ihrer Minister“. Unser Hirn sagt: „So einen Kuchen hätte ich auch gerne.“ Das Herz gratuliert mit; aber aus dem Bauch kommen unflätige Emotionen hoch. „Sie kümmert sich einen Dreck um die derzeitige Kritik!“

Das klingt in den Netzkommentaren noch herber, es geht zu gutem Teil in einen Ton und eine Wortwahl über, die man mit Hate-Speech oder Hassrede beschreibt.

Quelle: https://stock.adobe.com/de/images/cyber-bullying-concept-a-handcuffed-man-is-accused-of-being-a-social-defendant-bending-his-head-in-front-of-the-laptop-computer-with-hate-speech-as-a-cyber-bullying-popup-message-from-social-media/352568065?prev_url=detail

Selbst der Papst bekommt Hass ab, wenn er irgendetwas in der Nähe von „Wir danken den Dienern seiner Kirche“ äußert, dann wallen die Emotionen auf: „Woelki!“

Es mag daran liegen: Die an sich Mächtigen oder Wählerstimmhungrigen geben oft reines Marketing auf Twitter von sich, das nicht mit ihren Taten übereinstimmt. Das erzeugt Hass. Die Message an sich mag komplett wahr sein. Aber wenn z. B. Herr Lindner tweetet, dass die von ihm vorgeschlagene Steuersenkung alle entlastet (was im Prinzip wahr ist, sogar gut für alle klingt), dann überschlagen sich die Emotionen. „Arme zahlen keine Steuern, also werden sie nicht entlastet!“ Das wird aber nicht als Argument vorgebracht, sondern als Hass. Denn Argumente werden auf Twitter nicht gehört, weil sich die Politiker mit wenigen Ausnahmen anscheinend lieber nicht anschauen, was sie als Antworten bekommen (Frau Esken antwortet selbst, eine Ausnahme). Neulich habe ich mir unter einer „sachrichtigen“ Feststellung von Herrn Lindner über hundert Kommentare angesehen – es gab fast nur Vernichtungskritik. Dasselbe bei Olaf Scholz. Er tweetete (oder ließ es tun), dass man sich an einen düsteren Tag vor 30 Jahren erinnern solle. Das war richtig, aber er handelte sich zig Kommentare der Art ein: „Du erinnerst dich tatsächlich an etwas, was so lange zurückliegt?“ Sein Schweigen zur cum-ex-Affäre lässt grüßen. Wenn sich ein Mächtiger der Kritik an ihm nicht stellen will, soll er lieber gar nichts tweeten. Denn die Leute, die ihm das übel nehmen, kommentieren mit Hass, egal, was es ist. Jedes Wort der Kirche zu Jesus kommt in den falschen Hals, solange die katholische Lage in Köln, Trier und anderswo nicht geklärt wird. Der Papst schloss neulich die Ukraine in sein Gebet ein, einfach so, aber ohne weiteren Kontext… gegen das Gebet ist nichts zu sagen, aber was glauben Sie, welche Emotionen der unbehandelte Kontext „Russland“ auslöst?

Ablenkend wirkendes, ausweichendes, beschwichtigendes und sogar gut gemeintes Marketing von Leuten/Institutionen, die unter Kritik stehen, zieht Hass wie magisch an – es wirkt wie ein Hassmagnet. Und noch einmal: Auch bei eigentlich hehren Aussagen wird gegeifert. Dann hört man oft von den frustrierten Autoren: „Ich kann machen, was ich will, sie hetzen gegen mich.“ Was aber eben nicht gewollt wird: die Kritik durch Handeln oder Eingehen auf die Kritik ernst nehmen.

Disclaimer: Damit gehe ich nicht auf allen Hass im Netz ein; nur auf den hier behandelten. Ich kann nicht alles auf einmal kurz eben abhaken.

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9 Antworten

  1. Ich empfinde das genauso. Mir drängt sich das Gefühl auf, Politiker, und nicht nur die handeln wie kleine Kinder, die meinen, Vorwürfe und andere Kritik wären einfach weg, wenn man die Augen zuhält. Meiner Meinung nach der Grund, warum wir uns über Statements der Politiker ärgern. „Politisch korrekt“ mögen die Statements ja sein, überzeugend und gerne angenommen werden die nicht.
    Danke für Ihre Arbeit und Ihren scharfsinnigen Humor. Angriffig ist der ja nur zwischen den Zeilen 😉

  2. Lieber Gunter, obwohl ich zum Thema „Soziale Medien“ kein Insider bin, wie du, scheint mir, dass ich insofern ruhiger schlafe, weil ich diesen Schund NICHT zur Kenntnis nehme.
    Ich habe auch äußerst selten mal BILD gelesen, allenfalls wenn im Bahnabteil eine rumlag und ich sonst nichts zur Ablenkung bei mir hatte. Schon BILD war für mich das Organ zur Befriedigung der niederen Instinkte wie Neid, Missgunst, Verleumdung, Scheinheiligkeit, Lüge und auch teilweise Hetze und dergleichen mehr. Das haben nun in noch weiter gesunkenem Niveau diese „Medien“ übernommen. Die Schein-Schlagzeile war ja seinerzeit „Mutter drehte Kinder durch den Fleischwolf, BILD sprach mit dem Hackfleisch“. So etwas lockt doch heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor!
    Den Prozentsatz der „Dummschwätzer“, wie der Kabarettist Dudenhöfer als „Heinz Becker“ bemerkte ist gewaltig hoch. Man ist doch im Grunde besser beraten seine unwiederbringliche Lebenszeit nicht dort zu verbringen. Jeder Klick auf solches „Dummgeschwätz“ führt doch zur weiteren Verbreitung mittels „Like“.
    Dass Politiker über alle Stöckchen springen, die da hingehalten werden liegt wohl daran, dass eben irgendwelche Adjutanten oder -innen ihren Arbeitsplatz genau daran hängen haben. Weniger wäre da Mehr! Aber jeder „Dummschwätzer“ ist ein Wähler, denkt sich die Politklasse.
    Inzwischen ist ja die miserable Qualität der „sozialen Medien“ auch in den öffentlich-rechtlichen Medien angekommen. Man muss sich nur die diversen Talksendungen ansehen. In denen geht es mitnichten um Sachdiskussionen, sondern um das schüren von Streit und Konflikt geht, ganz nach dem Motto: Only bad news are good news.
    Mein Plädoyer ist daher: Lieber ein Glas Rotwein bei interessanter Lektüre als einen Blick in diese Tweeds!

  3. Lieber Herr Dueck,
    vor einigen Jahren hat die BBC eine Studie zitiert nach der über 90% dessen, was sich im Netz befindet, Müll ist. Ach wie wahr; mittlerweile dürfte der Prozentsatz weiter gestiegen sein.
    In meiner Branche gibt es ein Sprichwort: Marketing ist für dumm verkaufen – Vertrieb ist an Dumm verkaufen. Die Tweeds, von denen Sie schreiben sind Selbst-Marketing – im ein oder anderen Falle von Politikern sogar von professioneller Hand käuflich erworben. Mal von den Inhalten und den Reaktionen darauf abgesehen, geht es nur um eine, nennen wir es digitale Präsenz. In der Psycholgie spricht man von physischer Anwesenheit. Die führt im positiven Sinne dazu, je höher sie ist, dass man sich an einen Menschen gewöhnt, ihn mag, und wenn die Kommunikation darüber hinaus gut und korrekt ist, ihn liebt. Das Zauberwort ist physisch. Das findet leider immer weniger statt; wir haben es eingetauscht gegen alle Arten von digitalen Nachrichten und Übertragungen. Wir schreiben z.B. E-Mails an den Kollegen, der neben uns sitzt, statt den passenden Moment abzuwarten, ihm unser Anliegen persönlich mitzuteilen. Es mag Zeit und Kosten sparen sich digital auszutauschen. Wir bezahlen das mit dem Verlust, dass keine Übertragung zwischen den Menschen stattfindet, so wie es wären, wenn Sie und ich zusammensitzen würden und uns persönlich über Ihren Beitrag austauschen. Körpersprache, Stimmlage etc. sind bei einer guten Kommunikation wichtige Aspekte im Sender/Empfänger-Prinzip und man nimmt sie weit besser im persönlichen Kontakt wahr. In dem schwingt so viel Feinstofflichkeit mit, die wir unterbewusst wahrnehmen, da wird es für jegliche digitale Kommunikation schwierig.

    Der größte Vorteil bzgl. Twitter ist, dass man nicht mitmachen muss; nicht lesen, nicht posten, nicht kommentieren. Herr Dueck, wie wäre es, wenn Sie sich bei Twitter abmelden, und schauen was der kleine Schritt digitalen Detoxes mit Ihnen macht.

    1. Es sind aber auch 10% Nichtmüll dabei; auch meine an mich gerichteten Mails sind zum Großteil Müll. Ich twittere gern, weil ich einen Lackmustest haben kann, einfach so für Stimmungen und dann bekomme ich nicht oft, aber doch häufig Hinweise auf neue Technologie, die ich nicht auf dem Schirm hatte. Ich muss auch wissen, wie Leute auf meine Thesen reagieren – so wird ja dann auch nach meinen Reden gefragt… etc. Ich nutze Twitter und LinkedIn „professionell“, das geht. Xing ist eher tot, Facebook geht darnieder, auf Instrgram geht es wohl nur um Likes, nicht um Diskussionen.

      1. Das liest sich aber nun fast so, als wäre deine ganz oben genannte Kritik doch nicht ganz so übel wie dort beschrieben? Fast hört man sogar ein Lob heraus wie gut diese 10% doch sind.
        Mein Vorschlag wäre aber dann, doch etwas über die professionelle Nutzung zu schreiben, die du da für dich entwickelt hast, mit der man die 90% erträglich gestaltet und diesen 10% Schatz heben kann! Da hätte man als Leser ja positiv profitieren können.

  4. Wer immernoch den Hass im Netz besiegen will, ist noch nie massiv geghostet worden. Da freut man sich schon mal über den Hass.
    Ist wenigstens Feedback.
    Und wirklich vorbeikommen tun diese Menschen die einen hassen am Ende ja doch nicht, weil es so einfach ist den Hassquickie sofort ans Netz loszuwerden. Eine Art Blitzableiter.

    Ich wette diesen Kommentar hier hasst jetzt auch wieder keiner. Schade 🙁

  5. Sorry, ich bin etwas rückständig – zumindest im Rückstand, was meine Antwort heute, 24-7-24, betrifft. Doch das Thema ist ja nicht rückständig, sondern raum-zeitlich allgegenwärtig: Hass. In der Neuen Deutschen Welle der 1980er gab es einen Song „Ich bin so hässlich, ich bin der Hass.“ (Tauchen/Prokopez) Wer hasst, ist hässlich, zeigt eine hasserfüllte Visage und ist im Grunde zum Kotzen = übergebenswert.

    Heute lese ich bei ’ntw‘, dass man statt Kamala Harris doch besser Oprah Winfrey als Biden-Ersatz vorschlagen solle: sie habe bessere Chancen, Trump zu besiegen. Warum? Oprah hat möglicherweise mehr Humor, und Humor ist das, was in der Politik auf ganzer Linie fehlt. Die Bundestagsreden sind nicht auszuhalten, weil sie humorlos bis hasserfüllt oder zumindest besserwisserisch tuend belehrend vorgetragen werden, mit stetig eingebauten Beschuldigungen – daran sehen wir, wie richtig der Lehrsatz für Werbetexter ist: „Der durchschnittliche Mensch wächst über die Hirnentwicklung eine Zwölfjährigen zeitlebens nicht hinaus – sprich ihn also auf diesem Level an, dann hast du Erfolg!“ Für Belehrungen und Hass ist ein Zwölfer nicht empfänglich, aber für Humor. Also kann man Trump auch nur mit Humor schlagen, denn dieser Egopath verfügt darüber kaum und käme aus dem Staunen nicht mehr heraus, vor allem wäre er nicht in der Lage, eine greifende Gegenstrategie zu entwickeln. Die Präsentation gegen Trump darf nicht gegen ihn gerichtet sein, sondern muss in ‚mitnehmen‘, ‚abholen‘ – hier passen diese Mode-Hohlwörter endlich mal wirklich: Was kann man, irgendwer, also auch Trump, gegen Humor vorbringen – no thing, wozu man ’nothing‘ sagt;-))

    Kamala Harris traue ich den Humor nicht zu. Oprah Winfrey schon eher, und sie ist weitaus beliebter als Kamala.

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