DD216: Geht nicht, gibt’s nicht – jedenfalls nicht bei den Leuten unter mir! (Mai 2014)

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Geht nicht, gibt’s nicht – jedenfalls nicht bei den Leuten unter mir! (DD216, Mai 2014)

Besonders so ganz schneidige Manager, die Wirtschaft im Sonnenstudio gelernt zu haben scheinen, erklären aus dem sicheren Schutz ihres Maßanzuges heraus: „Geht nicht, gibt’s nicht.“ Sie setzen stolz hinzu: „Bei mir nicht.“ Sie erklären sich zu glühenden Bewunderern von „Nichts ist unmöglich“ und bewerben sich sofort, wenn es eine Titanenaufgabe zu erledigen gilt.

Albert Einstein sprach dereinst: „Alles Denkbare ist machbar.“ Aber er meinte doch nicht das naiv Wünschbare oder prinzipiell Erträumbare? Ich bin sicher: Er wird da falsch ausgelegt, wenn es wieder einmal heißt: „‚Geht nicht‘ gehört einfach nicht in unseren Wortschatz, bitte.“ Damit ist wohl gemeint, dass die Mitarbeiter jedes Unternehmens das Guinness-Buch der Rekorde auswendig lernen sollten, damit sie ein erstes Gefühl dafür bekommen, was herkulesgleiche Menschen schaffen können, wenn sie sich nur ein bisschen bemühen.

„Wir müssen dieses Jahr wachsen – ganz prinzipiell. Mit dummen Entschuldigungen wie Finanzkrisen, Kriegen oder aufgeklärte unverschämt-selbstbewusste Selbst-Google-Kunden sollten Sie es bitte bei mir nicht versuchen, das ist Loser-Talk. Wir müssen unbedingt wachsen, das wissen Sie selbst. Wirtschaften ist Wachstum, und zwar zweistellig.“

Kennen Sie solchen Winner-Talk? Na, es gibt noch andere Weisheiten, nämlich diese sehr bekannte: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Das siegessichere Geht-nicht-gibt’s-nicht unterstellt, dass es stets nur um Dinge geht, die man ändern kann. Diese Unterstellung gelingt besonders Managern leicht. Sie unterstellen zum Beispiel, dass es prinzipiell möglich wäre, ihrem Kind daheim beizubringen, regelmäßig sein Zimmer aufzuräumen oder die Sonette von Andreas Gryphius zu lieben. Also muss auch das jährliche zweistellige Wachstum möglich sein! In diesem Sinne herrschen sie ihre Mitarbeiter an, die Extrameile zu gehen und eben noch eine draufzulegen, nie aber die Flinte ins Korn zu werfen.

Dann aber stellt sich das Wachstum nicht so ein, wie sie es ihren Mitarbeitern als „absolut machbar“ und „seriös realistisch“ verkauften. Und was sagen sie dann? Na?

„Wir haben uns offensichtlich zu viel vorgenommen. Das ist an sich nicht schlecht. Wir wollen uns ja nie zu wenig vornehmen. Die Lage war unglücklich getrübt. Die Finanzkrise, das Chaos in der Ukraine, eine unerwartete Nahrungsknappheit in der dritten Welt und die unselige Diskussion in unserem Land um einen Mindestlohn haben die Verbraucher in die Defensive getrieben. Gerade und besonders unser Unternehmen, das ja leider sehr von den Kunden abhängt, musste darunter leiden. Die Berichte in der Presse über unseren angeblichen Service haben wir immer wieder als infam zurückgewiesen. Unsere Kommunikationsabteilung konnte den Schaden leider nur begrenzen. Insofern haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Wir werden ein bisschen auch vor unserer eigenen Türe fegen und zwei oder drei Manager austauschen müssen. Dann steigt der Aktienkurs auch wieder auf die alte Höhe.“

Dieses demütig-beschwichtigende Ging-nicht-weil-weil ist Loser-Talk.

Macht man das heute so? Die, die unter einem stehen, werden in Winner-Talk-Manier angeschrien, jedes beliebige Ziel zu erreichen, während man sich selbst in Loser-Talk-Manier gegenüber den eigenen Chefs für unverantwortlich erklärt?

Chefs dürfen also öffentlich sagen, man habe die Hausaufgaben nicht gemacht? Wer denn genau hat sie nicht gemacht? Was sind denn hausgemachte Problemfaktoren oder der zu lange verfolgte alte Trott mit den zum Boden hängenden staubigen Zöpfen?

Der tiefschwarze Maßanzug muss es retten. Nach unten erscheint er wie ein Herrschaftssymbol, nach oben eines der stillen Trauer.

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15 Antworten

  1. Noch immer zählt mehr die Gebärde, das Sich-in-die-Brust-werfen! Nicht die abwägende, vorsichtige Haltung, das Abwarten.
    Zeichen müssen gesetzt werden! Auch allein schon die „Drohgebärde“ (des Erfolgs) ist ein Erfolg. Wir haben den Gipfel versucht, was für eine Stärke!

  2. Warum auch sollte das heutige Management anders reagieren? Wir wollten doch wohl anscheinend alle diese Art Manager haben, die nur eine max. 5-Jahresbrille auf der Nase haben. Im Studium wird der Shareholder value gepredigt, dass man ihn maximieren möge. Das Fach Social-Competence kommt halt zu kurz.
    Führung heisst Verantwortung, wird aber oft mit Delegieren verwechselt, vor allem immer dann wenn es mal nicht läuft!

  3. Geht nicht gibt’s nicht *** oder *** Geht nicht, gibt’s nicht

    Die Version mit Komma unterscheidet sich in der Bedeutung deutlich von der ohne das kleine Zeichen. Die der zweiten Variante entsprechende Einstellung findet sich unter anderem bei Angestellten einer Baumarkt Kette welche mit Variante 1 um Kunden wirbt.

    Variante 1 wurde so vom Chef ausgegeben, nur die Mitarbeiter haben flugs im Kopf das Komma hinzugefügt.

    Realität: 2 Mitarbeiter ratschen hinter der Infotheke, der Kunde wird ignoriert, gibt auf und irrt zwischen den Regalen herum und füllt den Einkaufswagen mit Waren die er gar nicht kaufen wollte.

    Keine Moral hier aber amüsant, oder?

  4. Und es ist immer wieder schön, wenn man den Anzugträgern doch eine Grenze setzt, ihnen ein ’nein‘ entgegen setzt und beim ‚geht nicht‘ bleibt. Viele fangen dann an selbst zu denken und auf einmal gibt es dann doch andere Wege als die zuvor geforderten. Man braucht allerdings die Sturheit von 1000 Rindern.

  5. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Studenten, der einen Studentenjob bei einer bekannten Bank in der Mainmetropole machte. Sein Chef – ganz im Stil der smarten Banker betucht und stromlinenförmig gegelt, gab ihm eine Aufgabe, die er – fachlich zwar – doch ohne die erforderliche organisatorische Kompetenz in keiner Weise hätte durchführen können. Natürlich bekam er diese Kompetenz auch nicht – war ja auch nur Kofferträger. Der Student fragte mich um Hilfe. Mein Tipp: Er solle herausfinden wie sattelfest der Chef im Stoff ist und dann nach dem Motto: gib´s-ihm-wie er´s-will handeln. Er hat die Lösung der Aufgabe geschluckt. Ob der gute Chef die „Null-Nummer“ mittlerweile erkannt hat? Warum ignorieren viele Chefs eigentlich die Regel Ziele s.m.a.r.t zu definieren?

  6. Ehrlichkeit ex post? Ok, dafür das Plädoyer im DD.
    Ehrlichkeit ex ante? Oh, wie geht das denn?

    Bewiesen hat’s Ernest Shackleton 1909 bereits mit seinem Inserat für seine Antarktisexpedition:
    „MEN WANTED for hazardous journey, small wages, bitter cold, long months of complete darkness, constant danger, safe return doubtful, honor and recognition in case of success.
    Ernest Shackleton, 4 Burlington st.“

    Da darf sich hinterher niemand beschweren…

  7. Mit „Alles Denkbare ist machbar.“ meint Einstein vermutlich, dass man theoretisch durchDACHTE Ideen auch praktisch MACHEN kann.

    Zum Beispiel könnte man theoretisch nahezu beliebig große Dateien speichern, wenn man die Daten in einem virtuellen Dateisystem auf ein Cluster von normalen PC’s verteilt. Das wäre machbar, wenn die virtuelle Festplatte analog zu phyischer Hardware mit viel größeren Datenblöcken arbeiten würde und den RAM der PC als IO-Cache nutzt. Dieser denkbare Ansatz wurde mit Hadoop und HDFS realisiert, also war er machbar. Eine einzelne Festplatte mit derartigen Datengrößen ist nicht mit heutigen Technologie nicht denkbar, also nicht machbar.

    Viele Probleme sind lösbar, wenn der gesamte Lösungsraum durchdacht werden darf. Gerade hier hat das Management oft Angst, neu zu denken.

  8. Unerreichbare Ziele werden eigentlich erst dann besonders schön, wenn sie zusätzlich auch noch nicht (wirklich) erstrebenswert sind. Kritische Kommentare kann man hier sehr einfach mit dem Argument „Aber das ist unsere neue Strategie“ wegdiskutieren.

  9. Pingback: Dueck | Pearltrees
  10. „Nothing is impossible for the man, who hasn’t to do it himself.“
    Die einen lachen drüber, die anderen leiden drunter.

    Das Humankapital trägt nun mal keine Maßanzüge. Humankapital wird gekauft oder verkauft, ist austauschbar, abhängig und weltweit verfügbar.

    Es geht den Vorständen dieser Welt nicht mehr um Ethik, Loyalität und kategorischen Imperativ. Jetzt geht es darum, ob der Aktienmarkt oder der Manager besser angezogen ist, die Bilanz oder der Manager besser frisiert ist, ob sich der Manager selber oder die Waren seines Produktportfolios besser verkaufen kann und ob man genug Geld bekommt, nicht ob man genug hat.

  11. „Ein Bankier ist ein Mensch,
    der seinen Schirm verleiht,
    wenn die Sonne scheint,
    und ihn sofort zurückhaben will,
    wenn es zu regnen beginnt.“
    – Mark Twain, (1835 – 1910)

    Da kann sich jeder den Reim zu o.g. „Chefgehabe“ machen.
    Geht nicht? — Geht doch!

  12. Wenn der Chef das selbst glauben würde, würde es doch in Enttäuschung münden. Und wenn die Angestellten es glaubten, würden sie verzweifeln. Aber wenn alle in einer Illusion leben wollen, sollte man sie doch lassen.

    Jeder ist selbst seines Unglückes Schmid.

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