DD222: Angstblüte vor dem Burnout, August 2014

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DD222: Angstblüte vor dem Burnout, August 2014

„Angstblüte, so nennt man das letzte, vielleicht verzweifelte, oft prachtvolle Aufblühen eines alten Baumes, bevor er abstirbt.“ So beginnt eine Besprechung des Romans Angstblüte von Martin Walser. Bei Amazon heißt es zum Buch: „Angstblüte nennt sich, was die Natur bedrohten Gewächsen mitgegeben hat. Naht der Tod, steigen noch einmal die Lebenssäfte, der schönste Schein wird produziert.“

Ich habe das in unserem Garten erlebt. Hier in Waldhilsbach grassiert ein Baumpilz. Nebenan beim Nachbarn war eine Eberesche furchtbar befallen. Sie blühte dabei im letzten Jahr so schön wie nie, sie ächzte dann fast unter den herrlich roten Vogelbeeren – die leuchteten so wunderbar, weil die Blätter so klein waren. Der Baum war ein einziges Rot, ohne viel Grün – das Zeichen der Krankheit. In diesem Jahr aber trieb die Eberesche kein einziges Blatt mehr. Dürr, trocken, tot.

Da kommen mir fast Worte wie die eines Pfarrers in den Sinn. „Was sagt uns dieses Gleichnis aus? Was können wir daraus lernen?“

Sie merken es ja selbst: Die Blätter sind ein Zeichen des Lebens, die Früchte sind der Ertrag des Lebens, aber nicht das Leben selbst – das Leben ist grün. Und das Nachhaltige ist das Grüne, das Rote kommt dann schon nach… Aber wenn der Baum das Sterben fühlt, presst er sich noch einmal ganz aus, um für Nachkommen zu sorgen.

Manchmal trauere ich beim Anblick von Menschen, die viel Leistung zeigen und dabei rot glühen, aber sie haben nur noch kleine Blätter.

Der Burnout ist aus dieser Perspektive oft schon zu sehen. Sie blühen nur und wachsen nicht. Die Last der Früchte bricht den schon trockenen Ast.

Wie mag sich das von innen anfühlen? Dass man im Hamsterrad strampelt und leistet und leistet und leistet – und wie man fühlt, dass man sich nicht mehr weiterentwickelt? Dass man nicht mehr lange noch mehr und immer noch mehr leisten kann? Man sagt doch seit alters her: „Grün ist die Hoffnung.“ Ist Hoffnung das Grün des Menschen? Kann es sein, dass Menschen vor dem Burnout die Hoffnung verlieren, sich dann noch einmal zu einer Angstblüte aufschwingen und dann implodieren?

Ich habe einige im Arbeitsleben gekannt, die plötzlich lange krankgeschrieben waren. Manchen hatte ich gesagt, dass sie zu schnell sein wollten, zu schnell erfolgreich, zu schnell anerkannt. „Übe geduldig deine 10.000 Stunden, die man für die Meisterschaft braucht.“ Das hatten sie nicht hören wollen. „Du verstehst mich nicht“, hatten sie gesagt und hofften auf rasches Vorankommen.

Der mit der Angstblüte aber versteht sich nicht, er schaut auf die Früchte und vergisst seine Blätter.

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29 Antworten

  1. Danke!
    Langfristig nehme ich noch etwas anderes wahr. Die Früchte des Erfolgs einiger gedeiht auf den Wurzeln andere, die wiederum in einem immer (nährstoff-)ärmeren Boden wachsen. Dazwischen mühen sich Stamm und Äste unter der Last nicht zu zerbrechen. Auch dies sind Anzeichen eines schleichenden Todes.

  2. Ein sehr berührender Artikel, vielen Dank dafür!
    Jemand sagte mal „Hoffnung ist die Droge der Burnouter“. Dieses Nachjagen nach etwas besserem, schönerem für sich und andere. Und dabei jede Selbstfürsorge und Selbstliebe vergessen. Ein Hamsterrad, aus dem es meist allein kein entrinnen gibt.

  3. Eine w u n d e r s c h ö n e Allegorie –
    danke dafür!

    Manchmal denke ich fast, dass die Menschheit unter einer Art „Selbstbestrafungszwang“ steht. Ob das früher Religionen und Riten waren, die Selbstkasteiung und Askese verpflichtend machten oder heute „die Wissenschaft“, die unter dem Kriterium der Machbarkeit die rücksichtslose und einseitige Selbstoptimierung anempfiehlt. Irgendetwas im Menschen scheint völlig unabhängig von der intellektuellen Rechtfertigung, die gewählt wird, den Zerfall beschleunigen zu wollen.

  4. Vielen Dank für diesen berührenden Artikel.

    Ich gehöre zu denen, die selber durch einen Burnout nach und nach wieder ins Leben zurückkamen und dadurch unheimlich viel vom Leben lernen konnten bis der Weg zum wahren Selbst möglich war.

    Bei den heutigen jungen Menschen sehe ich das derzeit sehr stark, dass sie sich selbst verlieren und falschen Zielen nachjagen. Sogar viele Organisationen sind auf dem Weg zum Burnout. Da ist es für Mitarbeiter schwierig, davon nicht auch angesteckt zu werden.

    1. Es gibt Arbeiten, die ausbrennen, und solche, die erfüllen. Das Meisterwerden sollte erfüllen. Man brennt aus, wenn man vorzeitig als Meister gelobt werden will, der man noch nicht ist. Man will ernten, ohne gesät zu haben. Das geht schief…

      1. Irgendwie klingt das zu pauschal:
        „Man brennt aus, wenn man vorzeitig als Meister gelobt werden will, der man noch nicht ist. Man will ernten, ohne gesät zu haben. Das geht schief…“.
        Ich denke, man denkt, man hat nicht viel Zeit. Wenn man sich zu lange aufbaut,sind die anderen schon vornedran. Es kann z.B. passieren, daß man einen wichtigen Artikel vorbereitet und recherchiert. Plötzlich bringt ihn ein anderer heraus.
        Ist es nicht einfach so, daß diese Jagd auf Status, Ansehen und Erfolg per se ganz fragwürdig ist?

      2. Manchmal ist es hilfreich, sich dazu mit der Frage nach dem „warum“ oder besser noch dem „wozu“ zu beschäftigen – sowohl auf individueller als auch auf der Unternehmensebene.

        Simon Sinek hat dazu ein paar ganz interessante Anmerkungen gemacht, einfach mal auf TED.com nach ihm suchen.

        Aber wie schon Mark Twain richtig erkannt hat, leicht ist die Beantwortung dieser Frage nicht: „The two most important days in your life are the day you are born and the day you find out why.“

  5. Verzeihung, ist es in einer Leistungsgesellschaft nicht etwas widersprüchlich dem Einzelnen nahezulegen mit seiner Leistung sparsam oder zurückhaltend, eben schonend haushaltend umzugehen, statt, wie es gerade die Form dieser Gesellschaft verlangt, 100% zu geben?

    Zum Burnout – sollte man überhaupt nichts sagen. In dem Moment, in dem man die Mechanismen darum kennen gelernt hat, was wohl nur persönlich geht, wird man betroffenen Verständnis entgegen bringen. Solange sollte man Fragen stellen und sich nicht Gedanken machen.

    Der Burnout kommt immer Morgen. Heute ist immer wie Gestern und da ging es einem meist einfach gut. Es ist für einen Betroffenen schon sehr schwer zu verstehen, was in seinem speziellen Fall dazu geführt hat, dass er plötzlich (Morgen eben) für z.B. drei Monate nicht mehr aufstehen kann und alle Glieder einem schmerzen, als ob man eine starke fiebrige Grippe durch macht, ohne Fieber – tonnenschwere Lasten auf Armen und Beiden, wortwörtlich.

    Wie gesagt, aus einer Leistungsgesellschaft heraus lassen sich da wohl kaum Lösungen finden – von einer Meta-Ebene aus mag man andere Gesellschaftsformen sehen können, die ein gesundes Zusammenleben ermöglichen würden – aber wem hilft das schon.

      1. Nicht böse gemeint, aber gerade in dem „persönlichen nahe legen“ liegt der Wurm. Vielleicht sind Sie aber auch der Meinung, dass wir nicht in einer Leistungsgesellschaft leben. Dann verzeihen Sie mir mein Geplapper.

        Wenn aber doch, dann liegt die Verantwortlichkeit eben gerade nicht bei einem Einzelnen, sprich: persönlich; sondern in der Gesellschaftsform begründet.

        Sie, und das meine ich als Kompliment, sollten die wirklichen Gründe, die zu dieser, anscheinend stetig, zunehmenden Verausgabung Einzelner führen suchen und dazu wirklich nachhaltige Lösungsvorschläge erarbeiten können.

        Der Einzelne, aus verschiedensten Gründen, kann mit Ratschlägen wirklich nichts anfangen. Das liegt ganz einfach darin begründet, dass sich der Zusammenbruch so schleichend ankündigt, dass man, selbst hinterher, nicht die spezifischen Marker entdecken kann, die zu eben diesem geführt haben. „Überarbeitet“, müde und auch gestresst, war „man“ auch davor schon mal. Nur dieses eine Mal war eben anders.

        Ihnen sollten diverse öffentlich zugängliche Schilderungen Betroffener zeigen, dass zu-wissen-wann-es-zu-viel-ist ausgesprochen Schwierig ist. Das nicht-greifen-können was da passiert, äußert sich bei vielen schlicht in einer unbestimmten Angst, der Angst davor _was_ man sich zu muten kann, was zu viel ist. Viele paralysiert das regelrecht.

        Keine Ahnung wie ich Ihnen das nahe bringen kann. Das ist nicht von außen, auch nicht von innen, rational zu erfassen – und dann eben mit einem Ratschlag: passen Sie auf sich auf; zu lösen.

        Vielleicht kann man als Kind dieses auf-sich-hören, seine-Belastungsgrenze-nicht-überschreiten lernen. Das wäre aber wohl nur in einem dafür sensiblen Umfeld möglich.

        Es nützt leider nichts jetzt plötzlich sensibel für diejenigen zu werden, die da ausbrennen, ohne gleichzeitig dieses Umfeld zu erschaffen, eben eines, das Leistung nicht belohnt, sondern Gesundheit von mir aus oder was auch immer dies ermöglicht. Die Not hinter diesen persönlichen Ratschlägen kann ich verstehen. Nur der Ansatz ist mir nicht ganz verständlich. Die Verantwortlichen in einer Firma wäre da, persönlich, z.Z. die besseren Ziele.

        1. Vielleicht gefällt Ihnen das nicht: Aber ich konnte etliche Burnouts von außen „ansagen“. Es waren Fälle, wo sich Leute bemühten, in der „Champions League“ zu spielen, aber von außen zu sehen war, dass so etwas wie 2. Bundesliga „Endstation“ war. Ich habe mich in vielen Fällen bemüht, das zu erklären, es wird aber feindlich aufgenommen, nicht als Hilfe. Es wird meist nicht einmal NACH dem Burnout angenommen… es ist verzweifelt schlimm, dabei zuzusehen…

          1. Das mit der Championsleague und Bundesliga ist köstlich.
            Ein Chef hat gemeint, daß ich in seiner Abteilung „das untere Ende der Bundesligatabelle zieren würde“.
            Er fand das witzig formuliert.
            Noch einmal nachgefragt: Wieso will jemand in der Championsleague spielen?? Wozu? Was ist so eminent verlockend daran?

          2. Naja, dass sich Menschen mit der angestrebten Zielsetzung übernehmen, kommt auch vor. Es gibt aber auch viele andere Gründe, die mit einer sinnlosen Aufgabe, dem blinden Funktionieren gemäß fremder Vorgaben zusammenhängen, mit der sprichwörtlich am Esel befestigten Karotte.

            Es sind nicht nur die Menschen, die nicht „gut genug“ sind, sondern oft auch die Strukturen, die weder sinnvolle Inhalte noch Handlungsspielraum ermöglichen.

            Manchmal kommt beides zusammen und man weiß nicht, was nun wirklich „Ursache“ ist: Über-, Unter- oder einfach Falschforderung – überhaupt oder auf die Person bezogen. Als Drohnenpilot z.B. würde ich sicher gerne versagen, und wenn ich den BO spielen müsste …

  6. Pingback: Dueck | Pearltrees
  7. auch https://www.xing.com/profile/Roland_Borch

    Hallo Herr Prof. Dueck,

    Vielen Dank, ich finde mich da total wieder.
    Inzwischen – auch Dank meiner Frau – habe ich wohl den Ausgleich gefunden. Früher nur Fan von Jazz und improvisierter Musik mache ich inzwischen selbst Musik. Das ist der beste Ausgleich zu einem Job, der viel fordert, auch frustriert und bei dem man mit 58 Jahren sowieso nicht mehr voran kommt.
    Ich kenne ein weiteres, sehr gutes Beispiel: Ein Politiker, der in 2004 mehrere Schlaganfälle hatte und bis heute nicht aufhören kann. Seine Partei lässt ihn allerdings auch nicht aufhören. Ob es der LINKEN damit gut geht, steht auf einem anderen Blatt. Es geht um Gregor Gysi.

  8. Ach Herr Dueck,

    wenn ich Ihren Artikel so lese, kommt mir die Frage in den Sinn, wie die Spezies Mensch eigentlich überhaupt entstehen konnte. Nach einer über Jahrmillionen vom dauernden Kampf ums Überleben bestimmten Vergangenheit scheinen wir jetzt an einem Punkt angekommen, wo all diese Talente für Überleben und Fortpflanzen nichts mehr nützen.

    Ich bin deshalb eher mit Frank Schirrmacher der Meinung (siehe „Payback“), dass Burnout eine Folge schwindender psychischer Energie als von zu ehrgeizigen Zielen ist. Deshalb sollten wir nach den Gründen für das Nachlassen unserer Kräfte und nicht Strategien suchen, das zu vertuschen.

  9. Ich habe den Beitrag heute morgen gelesen, dieser war schon sehr philosophisch, mit der Message, vereinfacht ausgedrückt, bin ich nicht so ganz einverstanden (heißt das, dass wenn man Top Leistungen bringt, ist alles „zu spät“?)

    Allerdings geht mir dies nicht aus dem Kopf. Ich kann nicht aufhören zu denken: Bin ich noch „grün“? Wachse ich noch? Entwickele ich mich noch weiter?

    Danke, dass Sie etwas zum Nachdenken gegeben haben.

    1. Ich habe nicht gesagt, dass man keine hohen Leistungen vollbringen soll. Ich meine, dass man sich nicht in der Liga verschätzen soll, in der man gut spielt. Man muss WOLLEN und dann auch KÖNNEN. Ich sehe Burnouts oft dort, wo viel WOLLEN ist, dem dann das GELINGEN fehlt. Man muss sich also fragen, ob man es schafft – und ob man die die Risiken versteht, es nicht zu schaffen. Oft scheitert man ja auch nicht am Können an sich, sondern am Unvermögen, etwas bei einem schlechten Chef zu schaffen. Man braucht Ausgeglichenheit, auch Pech hinzunehmen etc.
      Meist ist es so, das viel Willen in der FESTEN Erwartung erzeugt wird, möglichst zeitnah belohnt zu werden. So ist das Leben nicht…

  10. In der Tat eine schöne Metapher, ich bin mir aber nicht sicher, ob sie richtig passt. Zum einen gibt es auch Menschen, die schon mit Ende Zwanzig im Burn-out landen. Und zum Anderen sind gerade die Älteren doch meistens zu weise, um sich in den Burn-out treiben zu lassen. Am anfälligsten sind doch gerade diejenigen zwischen 35 und 45, die sich noch für unbesiegbar halten, obwohl sie es schon längst nicht mehr sind, und ihre Grenzen nicht akzeptieren möchten.

  11. Wo (über-)hohe Erwartungen und begrenztes Vermögen aufeinander treffen ist Erschöpfung wahrscheinlich, wenn dann noch Entwicklungsmöglichkeiten fehlen allemal.
    Ich denke jedoch, dass sich ein Teil der Wirtschaft nicht nur den archaischen Mechanismus des Nach-Oben-Kommen-Wollens kalkuliert zu Nutze macht, um Menschen bei der Stange zu halten, wohlwissentlich, dass die Hoffnung ein Trugbild ist und der Preis sehr hoch sein wird. Hier liegt eine Teilverantwortung bei Führung und Management.
    Auch die zunehmende Schieflage im Gerechtigkeitsempfinden (Stichwort Gratifikationskrise) und ein immer geringeres Sinnerleben bei aller Leistung und Pflichterfüllung tragen das ihre zu Verläufen wie Burnout bei. Gängige Gesellschaftsmottos, wie das der Leistungsgesellschaft werden auf diesem Hintergrund sicher neu zu definieren sein, wenn nicht irgendwann die Ressourcen von denen gutes Wirtschaften lebt, vertrocknen sollen. Neue utopisch anmutende Keime in der Wirtschaft sind durchaus zu sehen (z.B. blue economy, social entrepreneurship, Suffizienzprinzip…), aber natürlich noch weit weg davon, das bestehende System zu transformieren. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
    Danke Herr Dueck für Anregungen!

  12. Wie soll der Hamster im Rad erkennen in welcher Liga er spielen kann? Glauben wir nicht alle (ok, die meisten), dass wir in die Champions League gehören? Und wer kann dem Hamster dabei helfen sein Potential zu erkennen, es aber nicht zu überschätzen? Ohne, dass es wie Bevormundung oder Neid wahrgenommen wird.
    Vielen Dank für einen weiteren Artikel zum Nachdenken. Mal wieder ein Leuchtturm-Artikel. Sorry; Sommerurlaub an der Nordsee 😉

    1. „Erkenne Dich selbst!“ Das klingt immer so einfach…man muss viel zuhören, verstehen, dass zu wenig gelobt wird, verstehen, dass viele Leute sich nicht trauen, die Wahrheit zu sagen, verstehen, dass etwas, was vollkommen übertrieben im Zorn gesagt hat, ganz sicher irgendwie Wahrheit enthält etc. Am besten finde ich „proaktives Zuhören“, was ich in meinem eBook thematisiert habe, also exploratives Hinführen des Gespräches, bis man Feedback bekommt – und dann Zuhören und länger nachdenken. Bei mir sind oft Leute ins Büro gekommen und meinten, ich solle mal ganz blank sagen, was ich über sie denke…es war bekannt, dass ich ganz nüchtern-unverblümt Feedback gebe. Das hat den Leuten oft sehr geholfen, weil im Berufsleben zu viel um den Brei geredet wird, um keinen Ärger zu bekommen. Schrecklich, oder? Man könnte alles eine Niveaustufe höher bekommen, wenn man sich eine Kultur schafft, in der man sich gegenseitig „coacht“ und nicht immer nur heimlich übereinander stöhnt.

  13. Zu hohe Ansprüche, zu hohe Erwartungen, die resultierende Überforderung, die Selbstausbeutung – was ist denn die Krankheit, die in unserer Gesellschaft zu dieser Form der Angstblüte führt? Und: Haben wir das selbst in der Hand?

    Wir haben, getrieben durch unsere Ansprüche und Lebensbedingungen, eine Diktatur der Ökonomie entwickelt, die sich mittlerweile in alle Lebensbereiche gefressen hat; um Zeit zu sparen sitzen wir nicht mehr im Café um unser Tun oder Dasein zu reflektieren, sondern wir trinken „Coffee to go“ auf dem Weg zur Arbeit; wir verbrennen uns lieber den Mund mit Flüssigkeiten, als mit Kommentaren; wir essen nicht mehr in Form gemeinsamer Mahlzeiten mit einem gepflegten Tischgespräch, sondern wir stopfen unser „Fast Food“ im Stehen mit ungewaschenen Fingern in uns hinein und essen allein; wir stehen im Stau, um schneller zur Arbeit zu kommen; wir smsen beim Fahren, wir telefonieren im Gehen, lesen und schreiben E-Mails unterwegs, an Wochenenden, an Feiertagen; wir machen keine Pausen, weil Stillstand Rückschritt bedeutet; wir sparen überall Zeit, um dann am Ende doch immer weniger davon zu haben. Mit operativer Hektik übertönen wir die geistige Windstille, aber wozu?

    Im System des neoliberalen Kapitalismus kann theoretisch jeder erfolgreich sein, aber eben nicht alle – und Wenige wissen, wovon das abhängt. Das haben Sie, Herr Dueck, in vielen Veröffentlichungen schon thematisiert, dass das nicht allein von den „alten“ Tugenden wie Fleiß, Betragen, Ordnung und Intelligenz abhängt – heutzutage spielen für eine erfolgreiche Karriere ganz andere Faktoren eine Rolle, wie die Fähigkeit zum Lösen von Konflikten, Empathie, ein positives Menschenbild, Marketing in eigener Sache, Führungstechniken, das Vermeiden von Demotivation, Teambildung, die Fähigkeiten andere zu überzeugen, zu coachen, etc. Da man das nicht während der Schule und des Studiums vermittelt bekommt, muss man es im Beruf zusätzlich lernen.

    Ist es da eigentlich verwunderlich, dass man neben den bereits hohen Ansprüchen bei den zu erledigenden Aufgaben schon mal an seine persönlichen Grenzen kommt – um sie geflissentlich zu ignorieren?

    Selbstüberlistung führt dann zur Selbstüberlastung, wie der Baumpilz zur Angstblüte.

    Danke für den Denkanstoß.

  14. Der Artikel hat mich berührt. Danke dafür !
    Das mit der Geschwindigkeit ist sicher ein zentrales Thema und der Trieb / Wahn zur Leistung über den gesunden Punkt hinaus. Warum passiert das, warum „will“ das ein Mensch? Um Sinn oder Anerkennung zu bekommen?
    Das klingt nach dem Muster des erfolgreichen Narzisten, der hohen extrinsischen Zielen hinterherläuft, die er intern gar nicht so will. Daher zerbricht der Narzist wahrscheinlich irgendwann an seinen Zielen, weil er sie intrinsisch nicht nachhaltig aufrecht erhalten kann und die natürliche Energie fehlt. Und dann wird aus einem erfolgreichen wohl ein gescheiterter Narzist. Der wird vermutlich versuchen nach altem Muster wieder zum Erfolg zu kommen, um dann wieder zusammenbrechen…. (Gibt es zum Charakter von Burnout Kandidaten Studien?)Ich weiss wovon ich rede, ich hatte mit 33 (!) meinen ersten Hörsturz, mit 35 meinen zweiten. Wie kommen wir da nun wieder in das Naturbild? Wird der Baum gegen seine Natur dazu gebracht mehr Früchte zu tragen als er eigentlich „will“, dann wird er irgendwann gestresst durch die falschen Ziele kollabieren. Gen-Technik läßt grüßen… Der Zusammenbruch kann natürlich durch Dünger usw. gestreckt werden (Bonus-Zahlungen im anderen Bild). Wir leben anscheinend in einer ökonomisch begründeten narzistischen Welt und züchten kranke, weil unnatürliche Charakteren und Steuerungssysteme. Das hat Vorteile und birgt Gefahren. Wir haben die Wahl wieder langsamer zu werden und Ziele zu verfolgen, die direkten Sinn geben…Dazu passt vielleich die heutige Erfahrung: mein Sohn ist mit einem anderen Kind (beide 11 Jahre) nun Aussenseiter in der Schule und beide werden gehänselt, nur weil beide jeweils ein altes Handy und keine Smartphones haben. Sind wir noch normal unterwegs? Was passiert da mit unseren Kindern? Die externen Werte und Symbole sind maßlos überbewertet. Aufwachen ! Mein Weg: ich schaue kein TV mehr und habe definiert, was ich zum Leben brauche. Danach strebe ich, alles andere lächel ich an ohne es an mich heran zu lassen (zumindest versuche ich es).

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