DD349: Wie bringt man dem Chef eine vernünftige Strategie bei?

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Laut der Ernst & Young Jobstudie 2019 (leicht zu finden beim Googeln nach „EY Jobstudie 29019“) halten rund ein Drittel der Mitarbeiter von der Strategie ihrer Chefs bzw. ihres Unternehmens wenig bis gar nichts! Jedenfalls verbreitet das eine Mitteilung der dpa, die zum Beispiel in der Berliner Morgenpost kommentiert wurde. Die dpa hat vielleicht eine umfangreichere Studie einsehen dürfen. Ich finde diese Zahlen in der publizierten Studie allerdings nicht. In der dpa-Meldung interpretiert einer der beiden Studien-Leiter, der EY-Personalexperte Markus Heinen, dieses fehlende Vertrauen der Mitarbeiter in die Strategie ihrer Chefs als Warnsignal. „Gelinge es nicht, die Belegschaft bei der Ausrichtung auf die Zukunft mitzunehmen, könne das zu Unruhe und zur Abwanderung von Fachleuten führen.“

Aha. Ich schimpfe ziemlich oft über Studien. Man kann ja gerne Leute bis zum Umfallen nach Ihrer Meinung fragen. Aber die Interpretation könnte doch tiefsinniger sein, finde ich. Die Studie beginnt mit der mehrmaligen Betonung, dass es sich um eine „repräsentative“ Studie handele. Gleich danach wird festgestellt, man habe exakt je fünfzig Prozent Männer und Frauen befragt. Das ist bestimmt absichtlich so gemacht worden, damit keiner mault. Aber dann ist die Studie absolut nicht repräsentativ, weil es zum Beispiel 21 Mio. männliche Erwerbstätige gibt und 19 Mio. weibliche. Danach folgt gleich eine Frage, ob Mitarbeiter denken, sie hätten Aufstiegschancen. Raten Sie mal, was die antworten? Die Jüngeren sagen öfter Ja als die Älteren. Die Interpretation von EY: Die Jüngeren haben mehr Optimismus! Ich dachte, die Jüngeren würden einfach öfter befördert, weil sie noch unten sind. Was hat das bloß mit Optimismus zu tun? Nächste Frage: „Wünschen Sie sich mehr Aufstiegsmöglichkeiten?“ Diese Frage bejahen heute MEHR Leute als früher. EY interpretiert: Das Interesse an Aufstieg ist deutlich gestiegen. Ich denke nach: Kann es vielleicht so sein, dass es kaum noch Aufstieg inmitten von Massenentlassungen und Kürzungen, Beförderungs- und Einstellstopps gibt? Na, in dieser Lage wünschen sich mehr Leute Aufstiegsmöglichkeiten, weil es eben gerade gar keine mehr gibt, und NICHT, weil die Leute karrieregeil geworden sind. Ich kann noch lange weitermeckern, was man aus den Zahlen alles so vollkommen sonnig von der Beraterseite herausinterpretiert.

Sorry, das war eine notwendige Abschweifung, damit Sie gleich schlucken können, was ich jetzt zur Diskussion stelle.

Wenn ein Drittel der Mitarbeiter von der Strategie des Unternehmens wenig oder gar nichts halten – was, bitte, könnte der Grund sein? Ich verrate Ihnen einen möglichen, den Sie als Manager vielleicht brandneu finden und sicher unter Querdenken verarbeiten werden: Die Strategie des Unternehmen IST SCHLECHT. Darauf kommen Berater nicht. Sie bringen dem Chef eines Unternehmens nur für viel Geld bei, die Strategie „Weiter so wie immer, aber dabei stark profitabel wachsen“ so genial schwallend zu erklären, dass die Mitarbeiter sich dafür begeistern.

Ich erinnere: Der Handel ignorierte lange Amazon, die Automobilunternehmen verlachten Tesla, sie können sich auch nicht vorstellen, dass betrogene Kunden als gebrannte Opfer oder Dieseltrottel dastehen und sich nicht gleich einen Neuwagen kaufen, der vielleicht auch gefakt ist. Die Commerzbank freut sich, wenn die Sparkassen Zweigstellen schließen, weil die Kunden ganz logisch sofort zu ihr rennen; dann schließen sie ihre Filialen auch. Auch hier kann ich seitenlang weitere Beispiele bringen. Diese so genannten „Strategien“ oder Ansichten der Unternehmen stehen öffentlich in der Zeitung, weil die Unternehmen auch dann damit protzen wollen, wenn sie grottenschlecht sind. Dort, in den News, werden sie von Investoren zerrissen, die heute immer öfter Ahnung davon haben – denn auch diese gehören wie die Dieselopfer zu den Gebrannten.

Die Mitarbeiter eines Unternehmens hören alle diese Nachrichten und lesen die Verlautbarungen ihres Unternehmens, einfach deshalb schon, weil sie Angst vor Entlassungen oder anderen Hiobsstrategien haben. Sie lesen, was Kunden und Investoren zu ihrem Unternehmen sagen. Sie wissen selbst, was die Kunden ihnen gegenüber tagtäglich meckern. Sie empfinden sich oft als besser gebildet als ihre Chefs. Ich komme aus der IT und der Uni, wo die Mitarbeiter eher höhere akademische Grade haben als das Management, ich kenne Unternehmen, die so tolle Star-Berater haben, dass die Top-Top-Manager-Kunden auf sie hören! Aber der eigene Chef fragt sie nicht um Rat, sicher nicht. Frage: Kann es nicht wirklich so sein, dass die Mitarbeiter genug Wissen und Intuition mitbringen, um die Strategie ihres Unternehmens zu beurteilen? Kann es nicht sogar sein, dass Mitarbeiter mehr Zeit auf Strategiegedanken verwenden, weil sie sich Zeit nehmen, die die Chefs nicht haben?

Wenn im Unternehmen noch Faxe rumstehen und wenn es noch Durchschlagpapier gibt, braucht man überhaupt Wissen und Bildung, um zu wissen, dass der Chef nicht mehr von dieser Welt ist? Kann nicht jeder Student nach vier Wochen Auslandsuni sehen, dass in den hiesigen Unis alles zurückliegt?

Die Mitarbeiter verlieren ihren Job, wenn etwas schief geht, der Chef bekommt im schlimmsten Fall einen Abschiebebonus. Kann es vielleicht sein, dass sich Mitarbeiter förmlich danach sehnen, dass ihr Unternehmen eine gute Zukunft, also eine gute Strategie hat?

Quelle: Pixabay

Ich vermute einmal, dass die Strategie eines Unternehmens wirklich schlecht ist, wenn sie von vielen Mitarbeitern, Investoren und Journalisten für untauglich befunden wird. Wie aber bringt man das einem Chef bei? Der ist von Image- und Kommunikationsleuten umgeben, die in ihrem Job immer nur beweisen müssen, dass der Chef stets recht hat, damit das Image über den Tod des Unternehmens hinaus strahlt und leuchtet. Die Deutsche Bank zählt auf ihrer Homepage unter ihren Unternehmenswerten an erster Stelle „Integrität“ auf, natürlich um gewisse Gedanken abzuwehren. VW …, egal: Viele Unternehmen leben in einem Imagepanzer, der sie so sehr einengt, dass sie sich kaum mehr mit unbefangenen Augen von außen anschauen können. Bei Menschen ist das so: Wenn Selbstbild und Fremdbild stark auseinanderklaffen, sollte man es einmal mit Therapie versuchen. Bei Unternehmen ist das auch so. Punkt.

Oder man holt eben Berater, die Imagebroschüren entwickeln, damit die Mitarbeiter das verordnete Selbstbild einsaugen und einfach nur noch arbeiten. Der agile Mitarbeiter übt sich im Schweigen der Lämmer. Er muckt nicht mehr auf, er antwortet nur manchmal kritisch, wenn er anonym an einer repräsentativen Studie teilnimmt. Er hofft wohl, dass man seine Antworten versteht und richtig einordnet.

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19 Antworten

  1. Diese „Studien“ müssen noch nicht einmal extern sein. Man kann diese auch „Mitarbeiterbefragungen“ (employee surveys) nennen, die für das Unternehmen selbst als „Pulse check“ durchgeführt werden, immer und immer wieder. Interessant ist dann, was und vor allem wann (also mit welchem Zeitversatz) etwas aus der Befragung folgt. Sie hatten es ja schon vom agilen Schaf (dieses, auf einer Seite schwarz)…

  2. Das ist die ganze Wahrheit. Problem dabei ist, dass auch der Journalismus häufig derartige Ergebnisse fehlinterpretiert.

    Ein fundementaler Wechsel in Wirtschaft und Politik ist unumgänglich, wenn wir noch etwas retten wollen.

  3. Wieder Mal auf den Punkt, oder auf die Punkte gebracht! Ich mag ihren Stil und ihre nie enden wollende Lust, sich behaupten Fakten, die gar keine sind, zu widmen. Und zwar so, dass sie keine mehr sind, sondern wieder eine Behauptung werden. Dadurch wird der Geltungsbereich geringer und Menschen werden davon abgehalten, Behauptungen als Fakten zu speichern. Sehr hilfreich. Immer wieder erfrischend !

  4. Bingo! Da haben Sie vollkommen recht. Aber nicht nur Firmen und Berater; nahezu jeder der heute im Internet eine Zahnpasta oder sonst was verkauft schickt eine Befragung „Wir wollen (in ihrem Interesse) besser werden“ hinterher. Mein Eindruck ist, dass man schon beim Stellen der Fragen eine bestimmte Interpretation der Antworten im Blick hat. Und deshalb ist aus Sicht der Befragten eigentlich nie eine Frage dabei, die zur Sache kommt. Mein letztes Beispiel: Patientenbefragung der Krankenkasse nach einem Klinikaufenthalt hinsichtlich der Zufriedenheit mit den Pflegekräften. Bin ich das nicht, bekommen die Druck oder bestenfalls eine Schulung „Wie stelle ich mürrische Patienten zufrieden“ verpasst. Auf die Idee, dass das Personal zu knapp ist kommt keiner. EY schon gar nicht, denn nach deren Rechnung klingeln die Patienten sequentiell.
    Wer sich mit Hilfe einer Umfragen nicht einfach auf die eigene Schulter klopfen will, sondern etwas aus Umfragen tatsächlich Erkenntnis gewinnen will, der muss sich in Psychologie UND Statistik bestens auskennen. Gleiches gilt für Journalisten, die Umfrageergebnisse kommentieren. Alles andere ist Scharlatanerie.

  5. Oh, wie sehr sie mir aus der Seele sprechen, lieber Gunter Dueck!
    Ich bin auch selbst immer wieder erstaunt, wieviele hoch bezahlte Manager keine Ahnung haben, was eigentlich eine Strategie ist („Wir wollen doppelt so schnell wachsen wie der Markt“ – der Klassiker, Aspiration mit Strategie zu verwechseln).
    Vielleicht sollte man sowas in einen irgendwie gearteten Bildungskanon einfliessen lassen, dann gibt es vielleicht in Zukunft weniger schlechte Strategien.

    1. Sie können aber verstehen, ob etwas schlecht ist. Schüler können nicht unbedingt den idealen Lehrer erklären, aber einen schlechten erkennen sie sicher. Ersetzen Sie Lehrer/Schüler durch XX, YY. Das Schlechte erkennt man von außen besser als von innen.

  6. Leider sind diese Verhaltensweisen im Vormarsch. Es wird so getan „als ob“ man; sich an Regeln hält, für den Kunden das Beste liefert, den Mittarbeiter in den Mittelpunkt stellt, Patienten optimal betreut, die beste aller Strategien hat, optimal aufgestellt ist, usw usf.
    VW verkauft mehr Autos als jemals zuvor. Dieselbetrug? Was ist das? Die Kunden sind nicht besonders kritisch.
    Die größte Einkommensdifferenz bei DAX-Unternehmen herrscht bei Volkswagen. Denn die Führungsetage in Wolfsburg erhielt im vergangenen Jahr eine Vergütung, welche den durchschnittlichen Personalaufwand um das 97-fache übertraf. Rund gerechnet bekommt die Führungsetage in einer Woche das, wofür der Durchschnitt zwei Jahre braucht. Wo sind denn hier die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, oder das Land Niedersachsen als SPD regiertes Land?
    Die haben wohl keine Strategie, ihre Macht zur Geltung zu bringen!!?
    Genauso verhält es sich doch bei den Konsumenten!
    Zwischen 300.000 US-Dollar und 500.000 US-Dollar verdient Kardashian laut eigener Aussage für „einen einzigen Instagram-Post, in dem ich ein Produkt bewerbe, das mir gefällt“.
    Konsumenten haben keinerlei Strategie! Einzig „Brot und Spiele“ zählt. Warum sich mit einer Strategie herumschlagen?
    So tun „als Ob“ reicht völlig.

  7. Guten Morgen Herr Dueck!
    Ich bin einer dieser teuren Berater. Sie schreiben: „Wenn Selbstbild und Fremdbild stark auseinanderklaffen, sollte man es einmal mit Therapie versuchen.“ Und das ist zumindest mein Anspruch und meine Dienstleistung. Und auch die vieler meiner Kollegen. „Dem Chef“ ist nämlich auch oft klar, dass etwas nicht stimmt. Sich vor die Mannschaft zu stellen und zu sagen: „ich weiß nicht weiter“ ist ja wohl kaum eine geeignete Therapiemaßnahme.
    Mit freundlichen Grüßen
    Tobias Harmes

    1. Warum nicht? In der VUCA-World finde ich es zunehmend fahrlässig, wenn Manager meinen, Sie hätten Wahrheiten gepachtet. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Mitarbeiter auf so eine Frage: Ihr kennt das Unternehmen, Ihr kennt die Branche und die Kunden, Ihr kennt die Herausforderungen, was würdet Ihr machen? Wenn man dann 10 Leute mal losschickt, das zu beantworten, bekommen Sie in aller Regel eine für das Unternehmen passende Strategie, die von den Mitarbeitern verstanden und mitgetragen wird. Auch das Herunterbrechen auf Maßnahmen gestaltet sich dadurch deutlich leichter.
      Einfach mal versuchen. Es funktioniert 🙂
      Gruß AS

    2. Die Situation ist leider aber oft umgekehrt: Die Belegschaft sieht die Defizite und macht auch Vorschläge, diese zu beseitigen. Nur gilt der Prophet bekanntermaßen im eigenen Dorf nichts, und darum haben Sie überhaupt eine Ligitimation hier einschreiten zu dürfen. Beratung ist einfach, Exekutive ist schwer, weil man dann dafür gradestehen muss…

  8. Ist es überhaupt vernünftig sich an eine Strategie zu binden? Wäre ein Werkzeugkasten an Taktiken nicht viel effizienter? Was bringt eine auf Langfristigkeit ausgelegte Strategie in einer realen Welt, die sich sehr rasch ändert und z.B. hinsichtlich der Demographischen Entwicklung schnelle Antworten erfordert? Bleiben da die Umstände und Regeln überhaupt ausreichend lange konstant, um mit Strategie real erfolgreich sein zu können?

  9. Man kann sich durchaus eine Welt zurechtbiegen, die so ist, wie man sie sich wünscht, denn es gibt viele Wahrheit und Sichtweisen. Daniel Kahneman nennt das „die Illusion der perfekten Information“ – Wenn ich aufhöre zu recherchieren, wenn alle Fakten mit meiner Sicht zusammenpassen, ist das eine heute durchaus populäre Strategie. Ein Fehler, den man nicht sehen kann, ist „kein Fehler“. nun kommt der Dueck und verlangt, dass man doch das Blickfeld erweitern sollte – und das um die Perspektiven in den Niederungen der Organisation. Igitt: Kunden und so. So ein Revoluzzer 🙂

    Ich bin immer dafür dass „Organisatorische Klarheit“ (s. Patrick Lencioni) dazu führt, sich angstfrei auf den Weg in die Zukunft zu begeben. Damit wären aber die ebenfalls von Herrn Lencioni herausgearbeiteten Kompetenzen „Humble“ „Hungry“ „Smart“ zu adressieren – wogegen sich persönliche Eitelkeit von Einkommensbeziehern > 1M p.a. so trefflich wehrt. Die ursprüngliche Grundlage der französischen Revolution Égalitée, Fraternitée wurden auf persönliche „Libertée“ reduziert und optimiert – nun – dann passiert das. Ist m.E. nicht wirklich neu.

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