DD370: Fluch und Segen des Home Office

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Die Pandemie erzwingt heute, dass viele Menschen im Home Office arbeiten. Sie erleben nun, wie die Arbeit daheim von der Hand geht. Ich selbst kenne dieses Dasein schon seit vielleicht 20 Jahren. Es gefiel mir von Anfang an gut. Ich habe aber – das möge man bedenken – ein eigenes großzügiges Arbeitszimmer unter dem Dach, von wo aus ich heute auf Online-Konferenzen rede. Unsere erwachsenen Kinder sind jetzt selbst oft im Home Office…

Jetzt entdeckt jeder sofort die Freuden und Leiden. Die Fahrt zur Arbeit fällt zwar weg, ein Paar mit kleinen Kindern in einer kleinen Wohnung in München lernt ganz neue Nervenstränge kennen. Die Manager sorgen sich, dass sie ihre Mitarbeiter nicht mehr beim Arbeiten sehen können, was sie für Kontrolle halten. Bei Online-Meetings sieht man ihnen auch nicht mehr auf die Finger, dabei ist es im Home Office möglich, die Meeting-Zeit sinnvoll zu nutzen: eBay, Spielen, Einkaufen, Online-Banking, sich über Witze in WhatsApp gegenüber Kollegen abregen, wenn der Chef langatmig wird.

Das alles erfahren Sie heute schon selbst. Ich will hier nur prognostizieren, was mittelfristig dabei herauskommt.

  • Büroräume stehen oft leer, Massentierhaltungsgroßraumflächen sind spärlich besetzt.
  • Manager überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter steuern können. Sie klagen: „Ich kann sie nicht mehr sehen!“ Außerdem regt sie die friedliche Ruhe im halbleeren Großraum auf.
  • Autos zeigen vor dem seltenen Start an: „Batterieladung schwach.“
  • Mitarbeiter (-Ehepaare) bekommen Stress in zu kleinen teuren Innenstadtwohnungen

Quelle: Adobe Stock; Jelena

https://stock.adobe.com/de/images/young-father-working-from-home-and-babysitting-his-baby-boy-in-the-same-time/333504012?prev_url=detail

[Auf dem Bild sieht ein kleiner Junge im Home Office zum ersten Mal in seinem Leben eine Excel-Datei und beobachtet, wie souverän sein Vater bei der Arbeit in Zellen umgeht.]

Die Unternehmen werden merken, dass sie Büroraum einsparen können. Beispiel: Ich habe im IBM Wissenschaftlichen Zentrum in Heidelberg gearbeitet. 20 qm Einzelbüro. Weil man sparen wollte und Home Office zuließ, wurde in dem elfstöckigen Gebäude in Mannheim immer mehr Fläche frei. Heidelberg wurde als Standort aufgegeben, ich musste 2003 auf solch eine laute Fläche. Damals mietete die IBM noch so etwa fünf Stockwerke, dann vier, dann drei… Als ich die IBM 2011 verließ, waren es noch etwa 1,5 Stockwerke, und 2019 wurden alle Mitarbeiter woandershin verlegt. Das IBM Labor in Böblingen mit einst einmal tausenden Mitarbeiter ist ebenfalls dicht. Diese ganze Transformation hat sich über knapp zwanzig Jahre hingezogen. Damit will ich sagen: Die Bürotürme werden sich leeren, nicht sofort heute, auch nicht gleich morgen. Es zieht sich endlos und freudlos hin. Ich habe schon Überschriften wie „Geisterstadt London“ gesehen. Die Vision sich leerender Wolkenkratzer ist richtig, aber es dauert! Wie sehen dann die Städte aus?

Wer nur ein oder zwei Mal pro Woche ins Büro muss, kann auch weiter draußen wohnen, die Fahrzeit bleibt die gleiche (mehr km pro Fahrt bei weniger Fahrten). Gibt es eine Flucht aus der Stadt?

Manager brauchen andere Kontroll-Instrumente, wenn es keine Zeiterfassung vor Ort gibt. Sie schalten um auf „Ziele“. Es wird nicht mehr traditionell gemessen, wie lange man arbeitete, sondern wie viele Vorgänge man schaffte. Das setzt die Mitarbeiter großem Stress aus, denn nun sieht jeder, wer wie viele Vorgänge oder wie viel Umsatz gemacht hat. Leistungsschwächere Mitarbeiter könnten es mit Überstunden versuchen, doch noch viel zu schaffen. Aber die Leistungsträger wollen befördert werden, sie gehen bei den Überstunden bis zur Selbstausbeutung, die etwa im Beratungsberuf fast normal ist. Manager können jetzt die Ziele „unmenschlich“ erhöhen, weil sie dem Mitarbeiter nicht in die Augensehen müssen; er ist im Home Office. Wenn in einem Unternehmen viel von Balance, Well-Being oder Wellness die Rede ist, mildert und kaschiert es schon die Schmerzen der Ausbeutung.

Die Kosten für die Büroräume sinken, das Unternehmen sackt Nebengewinne ein.

Nehmen die Gewerkschaften das zeitig zur Kenntnis? Muss nun nicht der Unternehmer Teile der Miete übernehmen, sagen wir, ein halbes Zimmer bezahlen? Bei Beratungsunternehmen gibt es kein Danke. Werden wir nun, da Home Office weiter verbreitet ist, unsere Interessen wahren?

Da man nicht mehr so oft zur Arbeit fährt, halten die Autos länger. Das wird Auswirkungen auf die Industrie haben. Für die Arbeit im zukünftigen Auto Office wäre es gut, selbstfahrende Autos zur Verfügung zu haben. Familien könnten sich gemeinsam ein Auto kaufen. Unternehmen können ihren Mitarbeitern Mitfahrergelegenheiten per App organisieren. [Werbeblock: ich bin Investor bei RideBee, schauen Sie einmal, ob Sie nicht so etwas mögen und von Ihrer HR-Chefin fordern wollen. Sie können natürlich auch noch investieren. RideBee zeigt an, wer wohin mitwill, man nimmt ihn mit, die Umwegkilometer etc. werden von der App erfasst, ein Geldausgleich erfolgt z.B. über das Gehalt.]

Ich habe früher schon gefordert, am besten ICE-Linien und kleine Flughäfen auf „Halde“ zu bauen und auf Staatskosten über lange Zeit mit hohen Verlusten halb leer zu fahren oder anzufliegen. Dann bilden sich über die Jahre neue Städte aus… das braucht natürlich Geduld, die man in München zunehmend ganz verliert. Guter Wohnraum braucht gute Infrastrukturen, die wird man wohl zuerst bauen müssen. In China haben wir über Geisterstädte gelacht. Wir lachen eben immer…und schließen die Flughäfen gleich wieder, wenn die Gäste ausbleiben. Wir müssen aber Jahre warten, bis die Häuser kommen. Und die werden gewiss kommen, dank Home Office. Man braucht keine großen Industriewerke mehr vor Ort, um dort gute Arbeitsplätze zu haben.

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14 Antworten

  1. ICE-Bahnhöfe wohl ja – selbst ein Montabaur entdeckt da gerade neue Seiten an sich.
    Die diversen Prestige-Flughäfen aber vielleicht aus akuten Klimaschutzgründen doch rasch durch gute Bahnlinien ersetzen (zumindest hier, wo die Landflucht anders als in China eher ruht)
    Ich warte dabei auch auf „Workfromheim“, das die nötige Infrastruktur und Anbindung haben wird, weitgehend autofrei, klima-, familien- wie singlefreundlich – das könnte man dann auch in den dunklen Odenwald, die Altmark-Steppe oder auf eine ausgekohlte niederrheinische Brache setzen, und es funktioniert. Oder gleich an einen Ort, den man auch zum Urlaub nicht mehr verlassen wird.
    Das Problem dürfte in Deutschland nur sein, dass die Datenanbindung hinterherhinkt …

  2. Da schreibt der reine „Denk-Worker“ – weil, unser Restkrams kommt ja aus China oder Bangladesch oder sonst einem Staat, wo man es mit den Arbeitsbedingungen nicht so genau nimmt. Wohl dem, der im Home Office seine Brötchen von Amaoogle und UPL oder DHS geliefert bekommt; dann verteilt sich die Massentierhaltung halt auf Wohnblocks, weil, warum teure Arbeit eigentlich bezahlen; gibt es doch alles als Open Source (wie man bei Corona an den Kleinkunststreams sieht)… Lange Rede – ich denke, das große Bild ist ein wenig differenzierter. Also, in was für einer Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?

    1. Naturgemäß ist Home-OFFICE eher etwas für Denk-Worker. wer den Restkrams tatsächlich produziert -egal ob Handys, Solarzellen oder Bio-Äpfel- wird das auch in Zukunft wohl nicht aus dem Arbeitszimmer schaffen, sondern weiterhin vor Ort. Und im Idealfall unter guten Arbeitsbedingungen.
      Und die Massentierhaltung muss sich dann eben nicht auf Wohnblocks konzentrieren, sondern kann auf dem Land stattfinden, wo die Infrastruktur von ÖPNV, Netzanbindung aber eben auch Brötchen und Bio-Äpfel von nebean geschaffen werden muss. Wozu dann wieder etliche vor-Ort-Arbeitende gehören werden.

      1. Ah, nie in Nordhessen gewesen; na, da wird es aber noch eine Weile dauern, bis Neuland auch hier Home Office fähig wird… Die Worte les ich wohl, doch allein mir fehlt der Glaube. Und selbst in Wiesloch (Kurpfalz! Nicht Baden…) wo EIGENTLICH guter ÖPNV vorhanden ist, kommt derselbe nur alle Stunde. Man WILL halt um’s Verrecken lieber im Autostau stehen. Soviel zum Thema Infrastruktur.

  3. Home Office wird die Gesellschaft transformieren. Heute nehmen wir es als gegeben hin, daß das Einkommen an der Tätigkeit hängt.
    In den USA beginnen erste Bestrebungen, daß wenn Menschen aus einer teuren Gegend in eine billigere Gegend umziehen, daß diese dann einen Abschlag auf den Lohn bekommen.

    So gut Zuschläge fürs home office wären, ich befürchte das Gegenteil. Warum sind die Gehälter in München höher als im Saarland? Auch wegen der höheren Kosten in München. Wenn ich jetzt ins Saarland umziehe, sollte ich dann nach München oder Saarland bezahlt werden? Ich befürchte, es wird nach Wohnsitz bezahlt.

    Wenn ich Mitarbeiter aus Indien & Co einstelle, die in ihrer Heimat wohnen bleiben, zahle ich diese doch auch nur nach deren Wohnort. Der Druck dazu wird von denFirmen hoch werden und wenn die Mitarbeiter nicht solidarisch bleiben, wird es seht schwer. Solidarität und Streiks bei home office workern kann ich mir kaum vorstellen.
    Bisher haben Firmen jede Transformation zu drücken der Löhne genutzt. Wird es diesmal anders?

    1. Ich denke, dass sich eher die Preise / Kosten an die Einkommen anpassen als anders herum.
      Als Unternehmer übernehme ich ja nicht die Kosten meiner Mitarbeiter, sondern bezahle für die Leistung / Wertschöpfung. Höhere Löhne resultieren dann in höherer Zahlungsbereitschaft / Zahlungsmöglichkeit, was die Preise hebt.

  4. @Markus: Klar schreibt da der reine Denk-Worker, seine Zielgruppe sind halt andere Denk-Worker. Aber die neue Büroturmlosigkeit ist auch für die Anderen positiv: wenn der Mietdruck in München nachlässt, dann kann ein Münchner Handwerker oder der Stuttgarter UPS-Fahrer auch wieder selber in München wohnen oder Stuttgart, anstatt sich in das nicht-S-Bahn-angebundene Umland selbstverbannen zu müssen, weil sonst nicht mehr genug für die Familie übrig bleibt.

    1. Sorry to insist – wie der geneigte Leser leicht selbst überprüfen kann, haben die Miet- oder Eigentumspreise nichts mit Home Office zu tun, sondern eher mit der Tatsache, dass Betongold in Zeiten der Nullzinspolitik immer noch Rendite abwirft; daran wird sich so schnell nichts ändern, weil diesbezüglich sogar Leerstand lukrativer ist, als Vermietung zu Niedrig(eren)preisen (siehe Görlitz oder Dresden)… Und um auf den Denk-Worker zurückzukommen: Die „Berater“, die am Flughafen „arbeitsfähig“ sind, sind dies auch auf dem Klo und genau so ist auch der Output (leider meine persönliche Erfahrung). Dahin würde ich eher behaupten, dass sich diese mit der Digitalisierung (m.E. ein Unwort, weil „digital“ sind wir seit Zuses Rechnendem Raum oder sogar länger) eher selbst abschaffen, also sich eher früher als später in die Reihen derer gesellen, die das aktuelle Mietpreisproblem haben – solche „Beratung und Prüfung“, wie von EY ist dahin tatsächlich obsolet, isn’t it?

  5. Ist die Wahl wirklich nur entweder-oder? Kann es nicht je nach Tätigkeit eine Mischung geben?
    Je nach Tätigkeit ist ein intensiver Austausch mit Kollegen direkt vor Ort sinnvoller, oder ein fokussiertes Arbeiten zuhause, oder per Telefonkonferenz, oder am Ort des Geschehens (beim Kunden, in der Werkstatt, auf der Baustelle, etc.). Meines Erachtens soll dieser Arbeitsort jeweils situativ vereinbart werden, so dass es für alle Beteiligten möglichst gut stimmt. Dazu braucht es Vertrauen und einen offenen Dialog.
    Ich hoffe, dass immer mehr Firmen lernen, ihren MitarbeiterInnen zu vertrauen. Meine Erfahrung ist, dass sich ein offenen, vertrauensvolles Verhältnis sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber positiv auswirkt.

  6. „Geisterstadt London“ ist ein Problem, das älter als Covid 19 ist. Es werden unglaublich viele leerstehende Luxusapartments gebaut, die als reines Spekulationsobjekt enden, tatsächlich benötigter erforderlicher Wohnraum dagegen fehlt. Auch New York ist stark betroffen und wie Markus weiter oben geschrieben hat, findet man das Phänomen offensichtlich auch schon in Orten wie Görlitz oder Dresden.

    1. Und Frankfurt und Offenbach am Main (z.B. in der ehemaligen KWU-Zentrale) und sicher auch an vielen anderen Orten der Republik, weil, wie geschrieben, eben einer der wenigen Wege Rendite zu machen (außer Teslaaktien 😉 – den „Aufschrei“ gab es ja in diese Seite auch schon) – Danke EZB und KfW und IWF und all ihr Politiker da draußen – keine Vision ist halt auch nix (gell, Herr Bundeskanzler Schmidt selig).

  7. Schöner Beitrag. Meine Kinder sind erwachsen und genieße dankenswerter Weise das Homeoffice sehr. Ich arbeite eigentlich in Frankfurt, wohne in Montabaur direkt am ICE Bahnhof. Jedes zweite (lange) Wochenende in Ostfriesland, da wohnt meine Frau mit unseren Tieren. Sowohl Montabaur und vor allem Ostfriesland sind absolut bezahlbar. Ich musste als gut bezahlter Ingenieur feststellen: In Rhein-Main kann man ohne Eigenkapital (erben o.ä.) gerade mal ein Dixi-Klo besitzen. Urlaube einer 4-köpfigen Familie sind nur durch Nebenerwerb möglich. Daher eine lange Fahrt (100 km) zur Arbeit auf mich genommen und als Domizil Montabaur ausgewählt. Anschließend noch ein Resthof in Ostfriesland fürn Appel und ’nen Ei gekauft um unsere Tiere angemessen halten zu können. Dann kam Corona und hat alle möglichen Trends haben sich plötzlich beschleunigt. Meine komplette Arbeit kann ich im Homeoffice erledigen. Der Lohn: Keine Reisen mehr. Der Preis: Lange Konzentrationsphasen und der Ar… kocht irgendwann. Dafür bin ich effizienter und kann über den Tag Dinge nebenbei erledigen. Tagungen veranstalte ich nur noch rein virtuell. Fazit: Ich habe echt Glück gehabt.
    Ich erwarte, dass sich Deutschland jetzt ent-urbanisiert und glaube, dass immer mehr Menschen die Enge in den Städten satt haben. Jetzt ist d i e Gelegenheit. Es gibt kein unbegrenztes Wachstum (von Mieten) — nur in der mathematischen Vorstellung. Wer soll noch als normal sterblicher Angestellter die Mieten in München, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt etc. bezahlen können. Bald ist Schluss damit.

  8. Meine Erfahrungen decken sich mit diesem Artikel. Die Überschrift trifft den Nagel auf den Kopf. Die Selbstdisziplin möchte ich erwähnen. Im HO zeigt sich die ganze Reife des Mitarbeiters und seines Umfeldes: Familie, Nachbarn, Dienstleister … Von außen betrachtet, ist der Mitarbeiter und Leistungsträger den ganzen Tag zu Hause, weil er lediglich physisch anwesend ist für den Rest der Welt.

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